Freitag, 2. September 2011

Prolog Teil 4 - Wildnis

Kurze Zeit später befand sich der Hauptmann im Sattel eines Pferdes. Das Schneetreiben hatte zugenommen, sodass niemand im bloßen Vorbeigehen, das Bündel in seinem Arm bemerkt hätte. Noch immer schlummerte das Neugeborene an seiner Brust und die Straßen begannen sich nun zu füllen. Die ersten Händler und Bauern waren auf den Straßen, wahrscheinlich auf dem Weg zum Markt. Nur wenige waren wie er, in Richtung zu einem der vier Stadttore unterwegs. Stets den Blick umherschweifend, konnte er nichts beunruhigendes feststellen. Er war sich schon fast sicher, dass der Plan des alten Mannes aufgehen könnte, als er plötzlich ein rotes Blitzen hinter einer dunkelgrauen Kapuze sah.
Er hielt den Atem an. Während er sich näherte, kostete es ihn Überwindung, nicht auf das Bündel zu sehen, ob das Kind denn noch immer schliefe. Doch die Gestalt am Straßenrand wandte sich ab und ließ ihn scheinbar unbemerkt vorbei reiten.
Sie waren nur noch wenige Schritte vom Stadttor entfernt, doch als er gerade tief durchatmen wollte, begann das Kind sich zu regen. Angst stieg in ihm auf. Es war doch seit ihrer Flucht alles so glatt gelaufen.
‚Zu glatt!’, dachte er sich. Wie konnte er auch etwas anderes annehmen? Gedanklich sah er schon den Jungen, zu einem Schrei Luft holen, als er dem Pferd die Sporen gab. Keinen Moment zu früh, wie sich herausstellte.
Fast zeitgleich, wie der Kleine zu schreien begann, traten zwei weitere Gestalten in grauen Mänteln vor dem Tor auf die Straße. Sie mussten sich in einer Seitengasse aufgehalten haben. Ob Zufall oder nicht war einerlei. Einen nieder getrampelt, den anderen hinter sich lassend, galoppierte der Hauptmann, mit dem Kind auf dem Arm, hinaus in die Wildnis und den, in weiter Ferne befindlichen, schneebedeckten Wäldern entgegen.

Die Zeit verging. Er wusste nicht, wie lange er die Stadt schon hinter sich gelassen hatte. Der Himmel und die Sonne waren noch immer von Wolken bedeckt, sodass sich die Tageszeit nicht einmal erahnen ließ. Das Kind war bereits längst wieder zur Ruhe gekommen und das Schneetreiben hatte glücklicherweise etwas nachgelassen.
Nichtsdestotrotz schlich sich die Kälte durch seine Kleidung und unter die Haut. Nicht gerüstet für einen Aufenthalt in der Wildnis, war er doch davon ausgegangen, die Stadt nicht verlassen zu müssen. Er fürchtete das Schlimmste für den Kleinen und sich, wenn er nicht bald eine wärmere Bleibe fände.
Nur wusste er sehr wohl, dass es in dieser Richtung vor zwei Tagesreisen nichts Geeignetes zu erreichen gab.
Wieder hoffte er, trotz der frisch entstandenen Schneedecke, nicht allzu sehr vom eigentlichen Weg abgekommen zu sein. Doch der Schnee lag so hoch, dass die Wegsteine nur noch zu erahnen waren. Er wollte diesen Wald, so schnell es ging durchqueren. Ohne die Handelsstraße, war dieses Unterfangen jedoch, in ihrer Situation nicht zu empfehlen. Immer wieder vergewisserte er sich über den Zustand des Jungen. Trotz dass er das Neugeborene zusätzlich, in das untere Ende seines groben Mantels eingeschlagen hatte, waren dessen Lippen bereits bläulich verfärbt. Er war sich sicher, dass es ihm mit seinen eigenen nicht anders erging. Auch seine Finger waren bereits steif und schmerzten, doch er ritt weiter.

Der Wald lag nun ausgestreckt vor ihnen. Doch weder eine Schneise, noch irgendwelche Spuren waren zu entdecken. Auch schien das Tageslicht bereits nachzulassen. Hunger und Erschöpfung machten sich nicht erst seit eben in seinem Körper breit und das Kind hatte sich bereits mehrmals – wohl vor Hunger – in den Schlaf geschrien.
Der Hauptmann lenkte das Pferd durch den, nun kniehohen Schnee am Waldrand entlang und seine Hoffnung schwand. Er wusste, dass es nur eine richtige Straße durch diesen dichten Wald gab und durch das Schneetreiben waren sie zu sehr von deren Richtung abgeraten.
Rechts oder links? Die Chancen standen gleich. – Er entschied sich für links. Als nach geraumer Zeit noch immer keine Schneise erreicht war, begann er an seiner Entscheidung zu zweifeln. Doch umzukehren wäre wahrscheinlich ebenso fatal gewesen. Er ritt weiter. Als das Licht immer mehr abnahm und neuer Schneefall das Vorankommen noch mehr erschwerte, entschied er sich, Unterschlupf im Wald zu suchen. Unter allen Umständen musste er es vermeiden, beim Lagern in der Nacht vom Schnee eingeschlossen zu werden
Er wählte eine Stelle, die ein Eindringen mitsamt Pferd nicht unnötig erschwerte. Hier standen die Bäume etwas lichter und auch verschneite Büsche waren nicht ganz so häufig. Unter den hohen Zweigen der gewaltigen Bäume war der Boden hier sogar etwas freier.
Nachdem er sich vorsichtig herabgleiten gelassen hatte, führte er sein Tier am Zügel zu Fuß weiter. Seine Glieder schmerzten ihn und er hatte den Eindruck, jeden seiner Knochen einzeln zu spüren. Die Beine waren ihm vom langen Reiten in der Kälte steif und taub, sodass er zu Anfang strauchelte, als er wieder auf festem Boden stand.
Sie erreichten nicht weit eine mächtige Tanne, an deren Stamm der Boden so gut wie ganz vom Schnee verschont geblieben war. Hier legte er das Kind nieder. Nachdem er das Pferd ein wenig abseits angebunden hatte, begann er im letzten Tageslicht vereinzelte, trocken erscheinende Zweige und Äste zu sammeln und von den Bäumen zu schlagen.
Schließlich brach er mit Hilfe seines Dolchs ein Stück des Glühsteins, den er stets in einem Anhänger um den Hals trug, ab. Das abgeplatzte Stück würde sich schon bald erhitzen und so heiß werden, dass er hiermit zumindest ein paar Zweige zum Brennen bringen würde. Der Rest würde sich zeigen. Schnell legte er den Splitter auf das Holz und verschloss sorgfältig die kleine Dose. Er hatte bis heute nicht verstanden, warum sich der große Stein, im Inneren des Anhängers nicht auch zu erwärmen begann. Sei's drum.
Da kräuselte sich auch schon erster, leichter Rauch empor. Der kleine Steinsplitter begann rot zu glimmen und spritzte kleine Funken von sich. Plötzlich züngelte eine kleine Flamme auf und das Holz begann bald in der Hitze zu zischen und zu knacken.
Kurze Zeit später hatte er ein kleines Wunder geschaffen. In Gedanken gratulierte er sich immer wieder zur Anschaffung dieses - ein kleines Vermögen kostenden - Luxusgegenstandes.

Der letzte Teil des Prologs folgt am Mittwoch.

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