Dienstag, 20. September 2011

1. Kapitel Teil 4 - Rückweg

Nach einem kurzen Moment der Fassungslosigkeit und des Erstarrens eilte sie los. Die Kinder vergessend, raffte Mütterchen Olinga ihre Röcke und lief so schnell, wie sie aufgrund des Alters und der kurzen Beine konnte. In Gedanken sah sie bereits ihre sämtliche Habe in Flammen stehen. Alles was sie besaß und nicht gerade bei sich trug, befand sich in dieser Hütte.
Melton und Syrill blieben nicht lange zurück. Die beiden sahen sich nur kurz an und ohne ein Wort zu wechseln, rannten sie fast zeitgleich dem Mütterchen hinterher. Auf der Hälfte der Wegstrecke hatten sie sie bereits eingeholt und waren schlussendlich ein paar Atemzüge vor ihr da. Doch bereits auf dem letzten Stück Weges, ließ sich das Ausmaß erahnen.
Die Hütte befand sich auf einer kleinen Lichtung und stand lichterloh in Flammen. Am Rand der Bäume waren die zwei Brüder stehen geblieben und sahen auf das Desaster. Nur aus Holz und Schindeln erbaut, hatte das Feuer offensichtlich bereits alles Brennbare der Hütte ergriffen. Die Flammen standen so hoch, dass bereits die ersten Kronen der umliegenden Bäume zu glimmen begannen. Laut und bösartig klang das Knacken und Bersten des Holzes. Immer wieder konnte man die Funken stieben sehen, wenn ein weiterer Teil der Hütte einbrach.
Nach Luft ringend stand schließlich Olinga neben den Jungen. Fassungslos besah sie das Drama. Melton, der sich zu ihr umdrehte, konnte Tränen in ihren Augen schimmern sehen.
Für sie brach eine Welt zusammen. Wie konnte das geschehen? Kein Feuer war von ihr angelassen, kein glimmendes Holzscheit noch im Ofen – sie war sehr gewissenhaft bei diesen Dingen, dessen war sie sich sicher. Vor ihrem geistigen Auge sah sie all ihre Habseligkeiten als Opfer der Flammen. Sie wusste, dass nichts wirklich einen großen materiellen Wert besaß, doch waren an Vieles davon Erinnerungen geknüpft.
„Das ist schrecklich. War das… ist das wirklich eure Hütte?“ Er wusste nicht recht, was er sagen sollte. Die Antwort kannte er schließlich schon bereits. Melton sah noch immer die alte Frau an. Sie wirkte nun noch älter in ihrem Gram.
Olinga nickte und antwortete mit zitternder Stimme: „Ja, hier verbrachte ich den letzten Teil meines Lebens.“
Syrill, der ganz in Gedanken war, sprach auf einmal: „Warum wirken eigentlich die Flammen so grün?“ Er schien gar nicht zugehört zu haben - das Schauspiel des Feuers faszinierte ihn trotz aller Betroffenheit zu sehr. „Schaut doch, immer wieder ein Wechsel von blau zu grün!“
Es stimmte, das bemerkten nun auch Melton und Olinga. Viele der Flammen hatten eine blaue, wie auch grüne Färbung.
Das alte Mütterchen kannte sich in solchen Dingen aus. Sie wusste, dass sich nichts in ihrer Hütte befand, dass in solchen Farben abbrennen würde. Dies ließ für sie nur einen Schluss zu, es war tatsächlich kein Unfall gewesen. Im ersten Moment war sie erleichtert. Wäre sie selbst durch ein Versehen für das Feuer verantwortlich gewesen, hätte sie sich das nie verziehen.
Doch im nächsten Moment kam das Erkennen. Instinktiv wich sie etwas zurück in den schützenden Wald. Sie ließ hektisch ihren Blick über die Lichtung schweifen. Hierhin und dorthin, doch was sie suchte, war nicht zu entdecken. Es gab einen anderen Verursacher für dieses Feuer und dieser war unter Umständen noch in der Nähe.
Doch wer konnte ihr so etwas antun wollen? Sie war als gutmütige Kräuterfrau in der Umgebung bekannt, die niemandem etwas zu Leide tat. Im Gegenteil, die Leute mochten sie und viele riefen als erstes nach ihr, wenn jemand ernstlich krank war.
Die Geschichte der Kinder fiel ihr plötzlich wieder ein, was ihre Panik steigerte. Dieser Zufall wäre zu groß gewesen, als dass hier kein Zusammenhang bestehen könnte. Ihr Atem ging schneller. Sie wollte jetzt nur noch weg von hier. Ihre Hütte war einerlei.

„Kinder kommt, wir müssen los!“ Die Eindringlichkeit in ihrer Stimme ließ beide sich zu ihr umdrehen. Noch immer schaute sie sich hektisch um, was nun auch Syrill bemerkte.
Vorsichtig und misstrauisch fragte er: „Was ist? Was sucht ihr? Wollt ihr nicht schauen, ob noch was zu retten ist?“
Sie sprach sehr schnell, da sie keine Zeit verlieren wollte: „Nein, das hat eh keinen Zweck. Es ist alles zerstört. Aber jemand ist hierfür verantwortlich und dem möchte ich nicht zusammen mit euch begegnen.“
Die Kinder begriffen. Sofort hatten sie das Bild der Gestalt aus dem Lichtkreis vor Augen.
Gemeinsam machten sie sich auf den Weg. Nicht wie sie gekommen waren, sondern in eine etwas andere Richtung. Olinga führte die beiden Brüder, so schnell sie konnte von der Lichtung fort. Sie suchte sich einen Weg, der sie zurück in die dichteren Teile des Waldes brachte. Sie wollte einen Pfad, der ihnen etwas Deckung bot und auf dem sie, nicht bereits von weit her, zu sehen waren.
Erst etliche Zeit später verlangsamte sie wieder ihre Schritte. Hier fühlte sie sich wieder etwas sicherer, sie erlaubte es ihnen sogar, kurz stehen zu bleiben und Atem zu schöpfen.
Das Mütterchen kannte jeden einzelnen der umliegenden Bäume, wie auch die schmalsten Trampelpfade, die zwischen diesen hindurch führten. Tag für Tag durchstreifte sie das Gehölz auf der Suche nach ihren Kräutern, oder auch nur der inneren Ruhe wegen. Sie mochte den Wald und spürte eine innige Bindung zu allem was hier kreuchte und fleuchte. Nie hätte sie gedacht, dass hier einmal Gefahren auf sie lauern könnten.
So standen die drei nun also verschnaufend im Wald. Den Brüdern hatte der Eilmarsch kaum etwas ausgemacht. Sie waren allerdings von der Panik des Mütterchens angesteckt worden und das Gefühl bedroht zu werden, hatte auch von ihnen Besitz ergriffen. Wohl behütet und von allen Seiten der Schaustellertruppe stets beschützt, hatten die Jungen bisher noch keine tatsächlichen Gefahren kennen gelernt. Vor einem Wildhauer davon zu laufen, war bisher das Schlimmste, was ihnen widerfahren war. Doch selbst das war mehr ein Spiel. – Nicht so in diesem Moment und es waren ihnen noch nicht einmal die Gründe bekannt.
Doch in Syrills Gefühle mischte sich noch etwas anderes. Es war Wut. Er wollte nicht vor etwas davon laufen, ohne die Ursache dafür zu wissen. Selten konnte er einfach etwas hinnehmen, was ihm geschah und in diesem Fall noch weniger als sonst.
„Warum steckt jemand eure Hütte in Brand?“, fragte Syrill frei heraus mit schneidender Stimme. „Ihr sagtet, es sei jemand dafür verantwortlich, also frage ich euch wer und warum?“
Kurz zuckte er innerlich zusammen, als ihm der Gedanke kam, dass das Mütterchen doch eine Hexe sein könnte und sich vielleicht jemand für einen bösen Fluch oder etwas Ähnliches rächen wollte. Doch im nächsten Augenblick hatte er wieder das Schauspiel des Lichtkreises vor Augen und glaubte nicht mehr so recht an eine böse Seite Olingas. Normalerweise hatte Syrills Bruder Melton ein sehr gutes Bauchgefühl was fremde Menschen anging und bisher wirkte es auf ihn nicht, als hätte Melton Vorbehalte gegenüber der alten Frau. Sie hatten gelernt auf die jeweiligen Stärken des Anderen zu achten und diesen zu vertrauen. Zu unterschiedlich waren die beiden Brüder, als dass sie sich bisher, bei einer ihrer Fähigkeiten ins Gehege gekommen wären.
„Wenn ich das genau wüsste, wäre mir auch wohler. Da ich es aber nicht weiß, beeilen wir uns einfach, dass ihr möglichst bald wieder zu Hause seid. Eure Eltern machen sich bestimmt auch schon Sorgen. Also hopp, Kinderchen, es geht weiter!“
Mit diesen Worten richtete sich Olinga wieder auf und marschierte einfach los.

Es dauerte noch eine ganze Weile bis die drei endlich die große Handelsstraße erreicht hatten, die durch den Wald führte. Olinga hatte sie immer wieder große Bögen schlagen lassen, um eine eventuelle Verfolgung, so schwierig wie möglich zu gestalten. In der Zwischenzeit verschwand auch die Sonne bereits hinter den ersten Baumwipfeln und eine gewisse Kühle machte sich breit.
Olinga wählte einen Weg parallel und etwas abseits zur breiten Straße, der sie früher oder später zum Lager der Schaustellertruppe führen sollte. Syrill und Melton hatten berichtet, dass die Gruppe bei einer recht großen Lichtung rasten würde, auf der sich zwei Straßen vor einer kleinen Brücke trafen. Die Brücke führe über einen etwas breiteren Bach und die Truppe würde heute dort ihren Waschtag abhalten. Vor den nächsten Auftritten sollten die Kostüme sauber sein. Nur deswegen hatten Syrill und Melton überhaupt die Möglichkeit bekommen, im Wald ihr kleines Jagdabenteuer zu bestehen. Olinga wusste gleich von welcher Lichtung die Kinder sprachen.

Der nächste Teil kommt am Samstag.

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