Dienstag, 6. September 2011

Prolog Teil 5 - Erlösung

Der Junge schlief inzwischen wieder in seinem Schoß, gewärmt von dem niedrigen Feuer, vor dem sie nun saßen. Ringsherum hatte der Hauptmann Zweige zum Trocknen ausgelegt; er hoffte, dass sie dies durch die Nacht bringen würde. Endlich wieder Kraft schöpfend, war er eigentlich dankbar für die Zwangspause, die sie einlegen mussten, auch wenn er wusste, dass ihr Überleben von einer baldigen Unterkunft und vor allem Nahrung abhing. In Gedanken wog er immer wieder ihr weiteres Vorgehen ab. Sämtliche seiner Möglichkeiten zog er in Betracht, doch verwarf er sie alle wieder und egal wohin ihn seine Gedanken trugen, er fand keine Lösung.
Starke Müdigkeit erschwerte ihm zusätzlich das Nachdenken. Immer wieder ertappte er sich dabei, wie seine Gedanken Sprünge machten und schon fast in Träume überglitten. Die Lider waren ihm schwer und sein Kopf sackte immer wieder zur Brust. Wach zu bleiben schien unmöglich und Schlaf doch so verlockend…

Rote Augen durchbohrten ihn. Sie schienen seine Seele zu ergründen und seine Gedanken zu verfolgen. Er stand nur da, unfähig sich zu bewegen. Um ihn herum war alles schwarz und er konnte nur die zwei roten Augen in einiger Entfernung ausmachen. Der zugehörige Körper lag in völliger Finsternis. Sie schienen näher zu kommen und sich dann doch wieder zu entfernen. Oder bewegte er sich etwa? Wie gefesselt hielt er den Blick auf die zwei glühenden Punkte gerichtet. Doch plötzlich waren sie verschwunden. Zwischen zwei Lidschlägen einfach weg. Jeglichem Anhaltspunkt entrissen, nahm die Beklemmung, die dieser Ort ausstrahlte noch mehr zu.
Er wollte sich umdrehen, seine Umgebung erkunden, doch es war ihm nicht möglich. Beklemmung steigerte sich in Furcht. Wo war er? Wie war er hierher gekommen? Er konzentrierte sich auf seine anderen Sinne, versuchte ein Geräusch zu vernehmen oder einen Duft zu erhaschen. Doch es gelang ihm nicht. Wo waren die Bäume, das Feuer und der Junge?
Plötzlich fühlte er sich wieder beobachtet. Wie Dolche, die in seinen Rücken fuhren. Er wollte rufen, etwas sagen, Stärke demonstrieren. Doch wieder misslangen sämtliche seiner Versuche. Unwillkürlich schrak er innerlich zusammen. Keine Armeslänge vor ihm, trat eine Gestalt in sein Blickfeld. Das Gesicht war ihm bekannt. Schmale Gesichtszüge, die hart und unnachgiebig wirkten. Eine dünne Nase, die lang und habichtsgleich hervorstach. Die Lippen umspielte ein boshaftes und überlegenes Lächeln. Doch wie bereits zuvor, waren das Fremdartigste die rot glühenden Augen. In Form und Aussehen Katzenaugen ähnlich, hätte dies bereits Abscheu genug bei ihm bewirkt, doch glühten sie, wie aus einer inneren Kraft heraus. Genug sogar, ihm die restlichen Gesichtszüge zu offenbaren. Wieder hatte die fremde Gestalt wohl einen Mantel über, dessen Kapuze ihr tief ins Gesicht gezogen war. Der restliche Körper lag verborgen im Dunkel.
Er war irritiert, hatte er nicht genau dieses Wesen von seiner Klinge durchbohrt und anschließend zu Asche verbrennen sehen? Doch die Haut schien unversehrt. Kein Zeichen von Feuer oder anderer Hitzeeinwirkung. Sein Gegenüber schien diese Gedanken zu erraten. Das anmaßende Grinsen wurde breiter und wirkte nun noch herablassender.
„Ihr seht richtig. Erneut stehe ich vor euch. Ihr habt doch nicht ernsthaft geglaubt, euch meiner mit eurem kläglichen Angriff für alle Zeiten entledigt zu haben?“
Die Gestalt brach in schallendes Gelächter aus. Die Gefühle des Hauptmanns begannen sich erneut zu wandeln. Alle Furcht fiel von ihm ab, seine Beklemmung verflog. Er wollte nur noch seine Klinge aus der Scheide reißen und sie erneut, tief in der Brust dieses Dämons versenken.
Ein Schrei des Jubels hätte ihm entfahren können, als er spürte, wie es ihm gelang, seine Fingerspitzen leicht zu krümmen. Endlos langsam schien sich seine Hand der Starre zu entziehen.
„Eure Willenskraft ist bemerkenswert. Wonach dürstet euch? Etwa hiernach?“
Das Monster hielt des Hauptmanns Klinge vor sein Gesicht, während dessen Finger ins Leere tasteten. Mehr war ihm noch immer nicht vergönnt.
„Mir deucht, wir haben noch eine kleine Rechnung offen. Zuletzt hieltet ihr diesen Stahl in Händen und meine Brust war euch entblößt. Mir scheinen unsere Rollen dieses Mal vertauscht.“
Just in dem Moment, da er die Starre ganz überwand und sein Körper ihm wieder zu gehorchen schien, spürte er einen sengenden Schmerz in seiner Brust. Er hatte schon des Öfteren Stahl gekostet und kannte daher, dessen kalt brennenden Kuss. Er blickte an sich hinunter und sah schwach, im roten Licht der Augen, die Klinge bis zum Heft in seiner Brust. Sie musste ganz leicht eingedrungen sein, da er keinen nennenswerten Druck verspürt hatte. Sein Atem ging nur noch rasselnd und Blutgeschmack machte sich in seinem Mund breit. Er wusste, dass wie bei Elor seine Lunge getroffen war. Rasend schnell verließen ihn seine Kräfte. Sich nicht mehr länger auf den Beinen halten könnend, sank er auf seine Knie. Sein Gegenüber hatte das Schwert losgelassen und betrachtete ihn scheinbar mit allergrößtem Interesse. Noch immer spiegelte sich ein boshaftes Lächeln in dessen Gesicht.
„Ich denke, wir werden bei euch kein solch Feuerwerk zu sehen bekommen, wie es mir zu eigen ist.“
Das Monster und alles andere begann vor seinen Augen zu verschwimmen. Der Hauptmann spürte, wie er ganz zu Boden sank und sich in warmen Schwällen Blut unter ihm verteilte. Der Boden war weich - als läge er auf Moos und gedämpftes Kinderplärren drang an sein Ohr…


Als die Schwärze verging, konnte er ein kleines Bündel neben sich liegen sehen. Eine Blutlache berührte fast die Decke des kleinen, weinenden Jungen. Unfähig sich zu bewegen, realisierte der Hauptmann, dass das Blut von ihm selbst zu kommen schien. Mit jedem schwerfälligen Atemzug, füllte sich sein Mund erneut mit Blut, das ihm aus seinem Mundwinkel rann. Der Schmerz in seiner Brust war kaum zu ertragen. Um letzten Atem ringend, glaubte er, zwei glühende Punkte zwischen den Bäumen ausmachen zu können. Sich seines Versagens bewusst, galten seine letzten Gedanken dem Jungen und dessen Mutter. Seine blutverschmierten Lippen formten ein stilles: „Es tut mir leid.“
Dann umfing den Hauptmann, zum letzten Mal in seinem Leben, erlösende Dunkelheit.

Die letzte Glut der Feuerstelle verströmte ihre Wärme, während die ersten Sonnenstrahlen einen klaren, blauen Himmel erhellten. Hoher Schnee bedeckte noch immer die Wipfel der Bäume ringsumher und unruhiges Pferdescharren war etwas abseits zu vernehmen. Das Kinderweinen neben dem leblosen Körper des braven Hauptmanns ließ langsam nach und verstummte schließlich ganz, während ein wunderschöner Wintermorgen anbrach.

Hier endet der Prolog. Am Samstag findet ihr den ersten Teil des 1. Kapitels. Lernt dort auch die weiteren Hauptfiguren meiner Geschichte kennen.

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