Sonntag, 25. März 2012

3. Kapitel Teil 6 - Selina

„...auf...wach auf Kleiner.“
Sein Kopf dröhnte. Syrill öffnete die Augen einen schmalen Spalt und sah dicht vor sich, die verschwommenen Umrisse eines schmalen Gesichts, das von langen, dunklen Haaren eingerahmt war. Dann schlossen sich sich, wie von alleine, wieder.
„He, nicht wieder einschlafen.“ Er spürte eine weiche Hand an seiner Wange, die ihn leicht tätschelte. Der Junge fand erneut die Kraft und den Willen die hämmernden Kopfschmerzen zu verdrängen und seine Augen zu öffnen. Er lag scheinbar in einem weichen Bett und eine junge Frau saß bei ihm. Als sich sein Blick etwas klärte, konnte er sehen, dass er sich in einem kleinen Zimmer befand, durch dessen schwere Vorhänge nur mäßig Licht herein drang. Er wollte sich etwas aufrichten, aber dann kam sofort wieder der Schmerz in seiner Seite. Mit einem gepressten Stöhnen lies er sich zurück sinken.
„Ganz ruhig. Nichts überstürzen. Dass du wach bist, ist schon mal ein guter Anfang.“ Er spürte, wie sich die Matratze leicht hob, als die Frau aufstand und zum Fenster schritt. Dann strömte Licht herein und er konnte etwas mehr von seiner Umgebung erkennen.
Das Zimmer war recht übersichtlich eingerichtet. Außer dem Bett, auf dem er lag, konnte er nur einen, mit verspielten Schnitzereien gestalteten Schrank, eine ebensolche metallene Badewanne und eine einfache Garderobe neben einem hohen Paravan erkennen. Die Wände waren in einem cremefarbenen Ton gehalten und zeigten aufwändige Stuckarbeiten an den Übergängen zur Decke.
Die junge Frau trat erneut zu Syrill und er konnte sie zum ersten Mal genauer betrachten. Sie hatte tatsächlich dunkles, fast schwarzes Haar, dass ihr ihr in langen, seidigen Locken herab fiel. Ihr ebenmäßiges Gesicht war so bezaubernd , wie ihr restlicher, schlanker Körper, der sich unter dem dünnen Stoff, ihres fast durchsichtigen Kleides, deutlich abzeichnete. Das zarte Hellgrün, das sie trug, unterstrich ihre alabasterfarbene Haut und das klare Blau ihrer Augen.
Bei ihrem atemberaubenden Anblick und ihrer anmutigen, wie auch völlig natürlich wirkenden Art sich zu bewegen, hätte Syrill fast vergessen, wie er hier überhaupt hergekommen war. Dann fiel ihm auf, dass er es tatsächlich nicht wusste.
Er wusste natürlich noch von seinem Sturz und dem Mann auf dem Dach, aber der Rest war ihm unklar.
„Wie komme ich hierher?“, fragte Syrill frei heraus. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er von dieser Frau, mit ihrem zierlichen Körper, irgendwie hierher gebracht worden sein könnte.
„Sag du es mir.“ Sie setzte sich wieder an den Rand des Bettes neben ihn und er konnte deutlich den betörenden Duft, ihres Parfüms wahrnehmen. Sanft legte sie ihre Hand auf seine Stirn, wohl um zu sehen, ob er Fieber hatte und der Junge konnte dabei deutlich die dunkle Knospe ihres Busens erkennen, die sich unter dem Stoff sanft erhob. Syl zog die dünne Decke, die ihn bis zur Hüfte bedeckte, etwas höher und winkelte die Beine leicht an, um seine erwachende, jugendliche Erregtheit zu verbergen.
„Wir fanden dich in unserem Garten, wo du scheinbar vom Himmel, oder wahrscheinlich eher vom Dach, gefallen warst und Shaban trug dich herein.“ Sie lächelte ihn dabei freundlich an.
Syrill verstand nun etwas besser. Er war scheinbar noch in dem imposanten Anwesen, dessen innen gelegenes Sonnendach er dummerweise als letzte Rettung gewählt hatte und das ihn so schändlich betrogen hatte. Einerseits beruhigte ihn das, da er so nicht allzu weit von der Straße entfernt sein konnte, wo sich sein Vater und Mel - hoffentlich noch unversehrt - befanden, aber dann fiel ihm ein, dass damit auch der unscheinbare Mann mit dem Blasrohr noch in der Nähe sein könnte."
„Also entweder, du wolltest die Sperrstunde der Ansprache dazu nutzen, dich hier umzusehen, in der Hoffnung, dass alle ausgeflogen wären, oder du wusstest nichts von der Sperrstunde und wolltest einfach nur spannen. Ich weiß aber nicht, was dich davon sympathischer erscheinen lassen könnte.
Syrill verstand nicht. Von einer Sperrstunde wusste er tatsächlich nichts und gespannt hatte er auch noch nie.
Scheinbar erkannte sein Gegenüber seine Verwirrung: „Na gut, vielleicht sagst du mir zuerst einmal, wie du heißt und wie es dir überhaupt geht. Ich bin zwar keine Heilerin, aber kenne mich trotzdem etwas mit dem menschlichen Körper aus. Danach kannst du mir deine Geschichte erzählen und wie es zu deinem Sturz kam.“
Und Syrill erzählte in knappen Worten, während Selina – so hieß seine aufmerksame Zuhörerin – ihm die geprellten und schmerzenden Stellen mit Verbandszeug und einer Salbe behandelte, die sofort etwas kühlende Linderung brachte.
„Hmm, hier bin ich mir nicht so sicher. Das sollte sich noch mal ein gelehrter Heiler ansehen. Es bildet sich bereits ein recht hässlicher, dunkler Fleck.“, musste Selina jedoch eingestehen, als sie seinen verletzten Rippenbogen an der rechten Seite betrachtete. Sie bestrich die Stelle trotzdem behutsam mit der Salbe und krempelte dann sein Hemd wieder herunter.
Syrill erzählte weiter Von ihrer Schautstellertruppe, ihrem Weg zur Ansprache, der überfüllten Straße und den niedergetrampelten Menschen. Hier stellte sich heraus, dass sie sich scheinbar, in einem hinteren Teil des Anwesens befanden, der Straße abgewandt und das Mädchen bisher von den Tumulten noch gar nichts mitbekommen hatte.
„Aber habt ihr denn nichts gehört, als ihr mich gefunden habt?“, fragte Syrill überrascht.
„Unser Garten ist so angelegt, dass kaum ein Laut nach draußen dringt und andersherum ebensowenig. Niemand unserer Gäste soll gestört, aber natürlich noch weniger vernommen werden, wenn sie sich gehen lassen wollen.“
Syrill wurde leicht rot, als er endlich erkannte, um was für ein Anwesen es sich handelte und welchem Gewerbe somit, wohl auch Selina nachging. In seiner jugendlich unschuldigen Naivität empfand er sie, als viel zu hübsch und zu perfekt, als dass er sich vorstellen wollte, wie jemand bezahlen konnte, um sie - wenn auch nur kurz - besitzen zu dürfen.
Selina riss ihn jedoch wieder aus diesen Gedanken und drängte zu erfahren, was dann geschehen war. Als der Junge es ihr erzählte, sprang sie erschrocken auf.
„Ich muss sofort Shaban Bescheid geben. Warte einfach hier, ich bin gleich wieder da!“, und damit war sie auch schon aus der Tür.
Syrill blieb überrascht zurück. Er wusste nicht, ob Selina auf Grund des Mannes oder der Vorgänge auf der Straße so hastig reagierte. Aber irgendwie hoffte er auf beides. Vorsichtig betastete er dann erneut seinen Brustkorb, der bei jeder Berührung noch immer schmerzte. Er stellte jedoch fest, dass ihm das tiefe Atmen wieder leichter fiel. Dafür befiel ihn, so allein, auch wieder die Sorge um seine Familie. Er fragte sich, wie lange er wohl ohne Bewusstsein gewesen war und was in der Zwischenzeit auf den Straßen vor sich gegangen sein mochte. Er hoffte inständig, dass Selina bald zurück käme und dieser Shaban tatsächlich irgendwie helfen könnte.
Testweise schwang Syrill die Beine über den Rand des Bettes und versuchte sich aufzurichten. Zwar noch immer mit pochendem Schädel und einem kurzen Stich in der Seite, gelang es ihm dann aber, sich aufzusetzen. In dem Moment öffnete sich auch wieder die Tür und Selina kam zurück. Wie erhofft war sie nicht allein, aber zu Syrills Entsetzen war es nicht Shaban, der ihn vorher noch herein getragen haben sollte. Mit festem Griff hatte der Mann vom Dach das Mädchen am Arm gepackt und stieß sie dann brutal ins Zimmer.

Sonntag, 11. März 2012

3. Kapitel Teil 5 - Der schwarze Bär

Die Menge war atemberaubend. Kelor stand mit ungläubigen Augen, auf seinem Posten am großen Platz und staunte. Er hatte noch nie so viele Menschen an einem Fleck gesehen. Hätte er die Anzahl der Besucher benennen müssen, so war er sich sicher, keinen Wert zu kennen, der hierfür groß genug gewesen wäre.
Es war ausnahmsweise einmal eine simple Aufgabe, die ihm zusammen mit einem noch recht betrunkenen Kameraden aufgetragen worden war. Zumindest empfand der junge Gardist selbst es so. Sie hatten einfach nur einen Seiteneingang des Ratsherrenhauses zu bewachen und dafür Sorge zu tragen, dass niemand Unwichtiges die Vorbereitungen und das anschließend stattfindende Geschehen störte. Sein Wachbruder schlief währenddessen an die Wand gelehnt halb im Stehen seinen Rausch weiter aus.
Ratsoberster Goldwien würde schon bald vom Balkon des zentral liegenden Gebäudes, seine Festrede halten und die Feierlichkeiten offiziell eröffnen. Schon eine Stunde später würden die ersten Wettkämpfe beginnen und in fünf Tagen sollten die Champions gekürt werden.
So sehr ihm das Fest auf den Straßen bisher auch gefiel, so konnte es Kelor doch kaum erwarten, wenn hier endlich wieder Ruhe einkehrte. Der eigentliche Trubel war dabei nicht das Störende für ihn und er genoss es sogar, wenn das einfache Volk sich dem Spaß hin gab. Viele Möglichkeiten zu einer solchen Ausgelassenheit hatten die meisten Bürger, die ihren Lebensunterhalt mit schwerster Arbeit bestritten, auch nicht gerade.
Was Kelor jedoch tatsächlich störte, waren die viel zu vielen 'hohen Gäste'. Auch jetzt waren solche in just dem Gebäude, dessen Eingang er vor 'ungebetenen' Besuchern bewahren sollte. Unmittelbar nach der Eröffnung würde hier ein erlesenes Bankett stattfinden. Scheinbar jeder, der irgendeinen namhaften Titel trug, oder genug Geld und somit Einfluss besaß, hatte sich auf den Weg nach Weißenburg gemacht. Kelor hatte sich in den letzten Tagen des Öfteren gefragt, ob mit einem Titel bei den Meisten, vielleicht wirklich unwillkürlich ein goldener Stecken im Arsch verbunden war – wie es unter den Gemeinen so schön hieß. Es hatte für ihn schon immer den Anschein, als ob das Gebaren, umso herablassender wurde, je höher der Stand war. Es überraschte ihn daher auch nicht, dass viele der Edelleute die Person ihnen gegenüber, gar nicht mehr wahrnahmen, sondern nur die Funktion und den darin enthaltenen Nutzen sahen. Eigentlich war er derzeit, sogar darum dankbar. Es hätte wohl auch einige unangenehme Auswirkungen gehabt, wenn er hier auf seine Vergangenheit angesprochen worden wäre. Kelors Stand unter seinen Kameraden war jetzt schon, als Frischling nicht der Beste. Auf weitere Komplikationen konnte er also verzichten. Nur eine ältere Baronin hatte ihn merkwürdig beäugt, als ob sie ihn kennen würde, doch am Ende machte es keinen Unterschied. Er trug die Uniform einer einfachen Stadtwache Weißenburgs und war somit weit unter ihrem Umgang.
Die Gäste waren nun schon vor einer kleinen Weile eingetroffen. Bei der Menge auf dem Platz, war es wohl auch eine weise Entscheidung, die Eingeladenen so früh her gebeten zu haben. Hier war zwar noch ein Durchkommen möglich, aber Kelor wollte nicht wissen, wie es auf den engeren Straßen der Stadt zuging. Doch nicht nur Personen von hohem Stand war die Ehre einer Einladung zuteil geworden, auch ein paar besondere Athleten waren zugegen. Champions von anderen Wettkämpfen, die zwar keine offiziellen Titel trugen, aber doch einen gewissen Ruhm erlangt hatten, wie auch ein paar kampferfahrene Soldaten, die von ihren jeweiligen Lehnsherren mitgebracht worden waren. Kelor vermutete, dass das ganze in einer Art Fleischbeschau enden würde, damit die hohen Damen und Herren ihre Wetten besser platzieren konnten.
„He, Wache. Öffne mir die Tür.“ Kelor drehte sich zu der barschen Stimme um. Ein großer Mann mit tiefschwarzem, öligem Haar und einem eben solchen Vollbart stand Kelor gegenüber. Der Mann überragte ihn um einen guten Kopf und trug eine tiefe Narbe auf der linken Gesichtshälfte, die von seinem Bart ausgespart blieb. Kelor vermutete, dass, was immer ihn dort getroffen hatte, die Wange komplett gespalten haben musste. Auch bei seiner Kleidung überwog die Farbe Schwarz in verschiedenen Nuancen. Goldene Stickereien auf seinem Wams boten den einzigen, wirklichen Kontrast und stellten einen doppelköpfigen Bären dar. Kelor kannte das Wappen und auch ohne dieses, hätte er wahrscheinlich erkannt, wer hier vor ihm stand. Der Ruf des Herren von Burg Bärenfels war legendär und seine Taten gleichermaßen ruhmreich, wie ruchlos. Auf dem Schlachtfeld ohne jede Gnade und stets siegreich, ging er ebenso im Bett zu Werke. Sein letztes, armes Eheweib sollte erst vor kurzem den Freitod durch einen Sprung vom Burgturm gewählt haben. Hatte ihre Ehe vielleicht auch ohne ihre Zustimmung begonnen, so war wenigstens deren Ende ihre eigene Entscheidung gewesen. Dies konnte nicht jede ihrer Vorgängerinnen von sich behaupten. So sangen es zumindest die Barden und Bänkelsänger in den Tavernen und auf den Straßen.
Kelor wusste darüber hinaus, dass Burg Bärenfels mit seinen Mannen als uneinnehmbar galt und als Bollwerk gegen die wilden Bergstämme und Riesen diente. Wer über den Pass aus dem Wolkengebirge im Nordwesten ins Tal wollte, musste die Burg passieren und dort seinen Wegzoll entrichten. Einen anderen Weg hinab gab es nicht, lies man die steilen Berghänge außer Acht. Dieser weit von jeglicher, weiteren Gerichtsbarkeit, abgeschlagene Standort war wohl mit ein Grund, weswegen sein Freiherr tun und lassen konnte, wie es ihm gefiel.
„Wer seid ihr, dass ihr hier so unverschämt Einlass begehrt?“, Kelor erschrak zutiefst bei dieser Frage seines Mitwachenden, den die Aufforderung des schwarzen Bären wohl geweckt hatte. Der Alkohol der letzten Nacht sprach eindeutig noch aus diesem, denn selbst ohne zu wissen, wer vor ihnen stand, hätte auf Grund der edlen Gewandung doch klar sein müssen, dass es sich nicht um jemanden Unwichtiges handelte.
Mit einer überraschenden Geschwindigkeit für einen so großen und breit gebauten Mann, griff der Bär brutal nach der Kehle des Gardisten und presste ihn an die Wand des Ratsgebäudes.
„Du kannst von Glück reden, dass ich meinen Felsenreißer zusammen mit meinem Pferd und meinem Knappen in diesen überfüllten Drecksstraßen zurück schicken musste. Sonst hätte ich dich jetzt deine eigenen Gedärme fressen lassen.“
Kelors Kamerad nahm dabei bereits eine gefährlich rote Gesichtsfarbe an.
„Entschuldigt bitte die Unwissenheit und Unachtsamkeit meines Wachgefährten Euer Hochwohlgeboren. Selbstverständlich ist dem Herren von Bärenfels sofort die Tür zu öffnen.“, beeilte sich Kelor zu sagen und war bereits dabei, dem nachzukommen.
Der schwarze Bär lies von dem armen Wachmann ab und dieser sank röchelnd, an der Wand zu Boden.
„Du kommst mit und bringst mich dahin, wo ich denke, dass die anderen hohen Herrschaften bereits am Fressen und Saufen sind!“, befahl der Freiherr im Vorbeigehen Kelor.
Dieser schaute noch einmal auf seinen Kameraden, der noch immer röchelnd am Boden lag.
„Wenn du dich nicht zu ihm gesellen willst, tust du besser was ich sage!“ Die Drohung war nicht nur den Worten zu entnehmen. Der am Boden liegende Gardist machte eine abwinkende Handbewegung und versuchte dann wieder auf die Beine zu kommen. Kelor nickte ihm zu und beeilte sich dann, den schwarzen Bären zu seinem Ziel zu bringen.

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