Dienstag, 30. August 2011

Prolog Teil 3 - Eine Wendung

Er erreichte sein Ziel, ohne weitere Zwischenfälle. Nachdem er sich erneut umgesehen hatte, stieg er durch das Fenster in das Gebäude. Alles war, wie er es verlassen hatte, bis auf das schwach zu vernehmende Plärren eines Kindes.
Schnellen Schrittes trat er zur Tür, die als einzige einen schwachen Lichtschimmer unter sich zeigte. Er wartete einen Moment, bis das Weinen nachließ und trat dann schnell ein. An der Szene hatte sich nicht viel verändert, die Luft war stickig und etwas wärmer als auf dem Flur. Das Feuer war noch immer nicht geschürt und auf der Lagerstatt lag die junge Frau. Doch sah sie erleichtert und glücklich aus. Die Beine noch für die Nachgeburt geöffnet, schien die Niederkunft gerade vorbei. An Ihre Brust gepresst hielt sie, in eine Decke geschlagen, ein kleines Bündel, welches sofort wieder zu schreien begann.
„Herr?“, zog er die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf sich, die alle die Mutter mit dem Neugeborenen umringten.
„Hauptmann, ihr seid zurück. Welche Kunde bringt ihr uns?“
Er trat zu der Gruppe und berichtete. „Mein Herr, die Lage ist erschreckend. Einer meiner Männer wurde vor meinen Augen, lasst mich sagen hingerichtet!“
Er beschrieb was geschehen war und berichtete von der Gestalt, mit der er die Klinge gekreuzt hatte.
„Zu Asche sagt ihr? Mir deucht, unsere Gegner sind gefährlicher als ich annahm.“
„Kennt ihr diese Wesen? Wie soll unser weiteres Vorgehen aussehen? Ihr wisst, mein Schwert und mein Leben gehören euch, mein Fürst.“
„Das weiß ich, Hauptmann und mein Dank hierfür ist der eure. Aber nein, ich weiß nicht um was für Wesen es sich hier handelt. Wir sollten es auch vermeiden dies heute noch herauszufinden. Unser aller Sorge sollte nur dem Kind gelten. Wir können noch nicht sagen, ob wir die Prophezeiung abwenden konnten. Die Nacht war genau am Übergang zum Tag. Vielleicht hatten wir Glück. Vielleicht…“
Die Gedanken des alten Mannes schienen wieder abzuschweifen. Schnell entgegnete der Hauptmann: „Sire, unser Vorgehen? Soll ich euch aus der Stadt bringen? Was ist mit eurer Tochter und dem Kind?“
Gerade wollte der Ältere zu einer Erwiderung ansetzen, als er jäh von einem schmerzerfüllten Schrei seiner Tochter unterbrochen wurde. Erschrocken wandte er sich um.
Die junge Frau bäumte sich heftig, wie erneut von einer Wehe geschüttelt auf. Das Neugeborene wollte ihr schon aus den Armen gleiten, als die Amme es der gequälten Mutter kurzerhand abnahm.
Der Hauptmann, wie auch sein Gegenüber traten näher an das Lager. „Was hat Sie? Ich dachte das Schlimmste wäre überstanden?“
„Haltet das!“, erwiderte die ältere Frau in den einfachen Gewändern und drückte das Kind dem Hauptmann in die Arme. Sofort kniete sie sich nieder und betastete den Bauch der jungen Mutter. Mit milder Stimme sagte sie: „Es tut mir leid, mein Kind. Die Strapazen scheinen für euch noch nicht zu Ende. Ihr dürft heute noch ein Leben schenken.“
Wie zur Bestätigung ergriff erneut eine heftige Wehe die junge Frau.
Versteinert standen die Männer da. Eine Wendung, die so keiner von ihnen erwartet hatte. Der ältere Mann fasste sich als Erster wieder. „Hauptmann, wisst Ihr was das heißt? Dies könnte die Lösung für all unsere Probleme sein.“
Ratlos stand dieser nur da und blickte auf das kleine Kind in seinen Armen und dann wieder auf seinen Fürst, dem er so viel Respekt entgegenbrachte. ‚Wie sollte noch ein Kind die Lösung sein?’
„Hauptmann, versteht doch! Die Sonne ist längst erschienen. Die Nacht ist vorbei. Das zweite Kind kann unmöglich die Prophezeiung erfüllen. Wenn sie uns nur mit diesem Kind ergreifen, sollen sie doch mit allen Spürern und magischen Scharlatanen ihre Untersuchungen durchführen. Dieses Kind wird niemals in Gefahr sein. Sofern sie von dem Kleinen, welches ihr gerade in den Armen haltet, nichts erfahren, wird uns allen niemals etwas geschehen.“
Verstehen kam in den Schleier von Ereignissen, die sich in den Gedanken des Hauptmanns gerade wirr umkreisten.
„Bringt das Kind fort von hier, wo es niemand mit unserem Haus in Verbindung bringen kann! Wohin überlasse ich ganz euch. Meiner Tochter einziger Wunsch war, dass dem Kindchen nichts zustoßen solle. Wie könnten wir dies besser garantieren? Macht euch also auf. Wir werden hier ausharren, bis sie uns finden. Macht euch keine Sorgen.“
Von diesem Plan noch ganz und gar nicht überzeugt, wollte der Hauptmann gerade etwas erwidern, als ein berstender Laut aus einem anderen Teil des Gebäudes zu vernehmen war.
„Die Eingangstür. Sie sind hier. Geht! Schnell!“
Der Hauptmann zögerte nun keinen Augenblick mehr. Ohne ein weiteres Wort oder Blick zu einem der Anwesenden, verließ er schnellstens das Zimmer. Eilig folgte er dem Flur, das Neugeborene eng an sich gepresst. Hinter einer verrammelten Tür, die in den Raum des Hauseingangs führte, vernahm er Geräusche, die ihn noch schneller agieren ließen. Wie durch ein Wunder, blieb das Kleine an seiner Brust still und ruhig. Kein noch so leiser Laut drang über dessen Lippen. Aus dem Fenster am Ende des Flures hechtend, duckte er sich sofort in die Schatten. Das erneute Bersten einer Tür informierte ihn, wie knapp die Situation gewesen war.
Er eilte ohne weiteres Zaudern davon. Sich bewusst, dass das Kleine jederzeit seine ungewöhnliche Ruhe verlieren und jeden im Umkreis von dreihundert Fuß über ihre Anwesenheit informieren könnte, ließ er jegliche Vorsicht fallen und begann schließlich zu laufen.

Ohne zu wissen, was er nun eigentlich mit dem Kind anstellen sollte, wollte der Hauptmann nur noch die Stadt verlassen. Durch die Seitenstraßen hetzend, kam er der Stadtmauer immer näher. Beruhigend sprach er immer wieder auf das Kleine ein.
Ganze Truppen hatte er schon geführt, doch noch nie die Verantwortung für solch ein einzelnes junges Leben getragen. Selbst hatte er keine Kinder und war auch als Einzelkind aufgewachsen. So fehlte ihm jegliche Erfahrung und Sicherheit im Umgang mit dieser Situation. Trotz alledem, war ihm das unglaubliche Glück bewusst, dass das Kind nun scheinbar ausgerechnet an seiner Brust eingeschlafen war.
Das Armenviertel längst verlassen und im Hinterhof eines ihm bekannten Gasthauses, hielt er zum ersten Mal seit ihrer überstürzten Flucht inne. Während er seine Lage überdachte, fiel ihm auf, dass er weder den Namen, noch das Geschlecht des Kindes kannte. Er war wie selbstverständlich die ganze Zeit davon ausgegangen, dass es sich um einen Jungen handelte. – Warum, wusste er nicht.
Nachdem er die grobe Decke etwas zurück geschlagen hatte zeigte sich, dass ihn sein Gefühl nicht getrogen hatte. Vorsichtig zog er die Decke wieder zurecht. Eingehend betrachtete er das unschuldige Gesicht des neugeborenen Jungen. Für Kinder hatte er sich noch nie interessiert, sie waren ihm stets ein Gräuel. Dieses hier machte da keine Ausnahme. Er konnte die ganze Weiberwelt nicht verstehen, die kaum dass sie ein Kindlein in Tüchern sahen, stets in Verzückung gerieten.
‚Was tue ich hier nur?’ Er war ratlos. Noch nie hatte er sich so deplatziert und überfordert gefühlt. Wieder ging sein Blick zu dem Kleinen, als ob er hier die Antwort fände. - Er fand sie nicht.
Eine Schneeflocke schwebte hernieder und schmolz auf der Nasenspitze des Kindes. Den Kopf gen Himmel sah der Hauptmann, dass sich die Wolkendecke immer mehr geschlossen hatte. Vereinzelte, dicke Schneeflocken fielen nun vom Himmel und kündeten von mehr.
Er kam zu einem Entschluss. Mit etwas Glück war im Stall das Reittier des einen oder anderen Gastes zu finden. Er wickelte seinen Mantel noch enger um sich und das Kind. Die Schneeflocken fielen jetzt dichter und sollten nicht den Schlaf des Jungen stören. Noch immer war er sich der Gefahr, in der sie sich befanden bewusst.
Die schmale Eingangstür innerhalb des großen Stalltors war verschlossen. Ein gutes Zeichen, dass die Unterkunft nicht leer, sondern hier ein Pferd zu finden sein könnte. Er rüttelte leise an den großen Flügeltüren. Sie waren von innen mit einem Balken gesichert. Er zog sein Schwert. Während er mit seiner Schulter gegen eine der Türen drückte, stocherte er mit der Klinge in dem schmalen Schlitz, der sich bildete. Jetzt hing es nur davon ab, dass einer der Stallburschen nachlässig gewesen war und den Metallhaken mit dem normalerweise der Holzbalken gegen solch ein Manöver gesichert wurde, nicht umgelegt hatte.
Sein Herz machte einen Sprung als er spürte, wie sich der Balken bewegte. Es gelang ihm diesen ganz aus der Halterung zu heben und schließlich fiel er, mit einem dumpfen Schlag zu Boden. Ein Schnauben hinter dem Tor bestätigte seine weitere Hoffnung.

Der nächste Teil folgt am Samstag.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen