Dienstag, 13. September 2011

1. Kapitel Teil 2 - Magie

Zügig machten sich die zwei auf den Weg. Das Lager der Wandertruppe, der sie und ihre Eltern angehörten, lag nicht sonderlich weit entfernt auf einer Lichtung innerhalb des Waldes. Sie hatten extra darauf geachtet, sich während ihrem Spiel nicht allzu weit von dort zu entfernen, doch jetzt kam ihnen der Weg viel zu lang und unbekannt vor.
„Bist du sicher, dass wir in die richtige Richtung gehen?“, fragte Melton seinen Bruder. Der Wald wurde immer dichter und unheimlicher und die merkwürdige Stille lag wie ein Mantel über allem.
Zögerlich antwortete Syrill, seine Schritte verlangsamend: „Wenn ich ehrlich bin… nicht so recht.“
Er blieb stehen und schaute sich erneut um, konnte jedoch noch immer nichts Bekanntes entdecken.
„Verdammt!“, entfuhr es ihm. „Ich hatte mir doch extra den Weg eingeprägt, aber hier wirkt alles so gleich.“
„Ich kann die Sonne auch überhaupt nicht sehen. Was meinst du, wie spät haben wir es?“ erwiderte Melton verunsichert, während er nach oben schaute und versuchte, mit seinen Blicken das dichte Blätterdach zu durchdringen.
Syrill wusste darauf keine Antwort. Mit zuckenden Schultern sagte er: „Ich denke, es wird das Beste sein, wenn wir wieder umkehren. Dahin zurück, wo wir uns vor dem Keiler auf die Bäume verzogen haben. Vielleicht finden wir von dort den Rückweg wieder.“
So kehrten die beiden um. Doch waren sie keine drei Schritt gegangen, als Syrill Melton plötzlich an der Schulter packte und nach links zeigte.
„Was ist denn das?“
Zwischen ein paar Bäumen - nicht allzu weit entfernt - war ein merkwürdiges Flackern zu sehen. Ein Punkt mitten in der Luft, von dem kleine Blitze ausgingen und der sich zügig vergrößerte. Der Punkt wurde zum Kreis und sah bald aus wie ein Band aus rotgelbem Licht. Ein leises Knistern kam von dort und war alles, was in dem noch immer stillen Wald zu vernehmen war. Gebannt und fasziniert standen die beiden Jungen da.
Leise flüsterte Melton: „Hast du so was schon mal gesehen?“
Syrill schüttelte nur stumm den Kopf. Das Schauspiel, das sich ihnen bot, war schön und beunruhigend zugleich. Je größer der Lichtkreis wurde, um so lauter schrillten in Syrill Alarmglocken, seinen Bruder zu schnappen und schnellstens von hier zu verschwinden. Doch wie die Maus, vor der hoch aufgerichteten Schlange, konnte er den Blick nicht abwenden. Der Durchmesser des Lichtbogens maß nun schon den Schritt eines ausgewachsenen Mannes. Erst als Melton an Syrills Ärmel zupfte, löste sich die Starre.
„Mel, lass uns abhauen!“, murmelte Syrill zu seinem Bruder.
Der Ring war noch immer am größer werden, als die beiden Jungen sich umdrehen und davon rennen wollten. Im letzten Moment hielt Syrill inne und zog seinen Bruder in Deckung hinter ein Gebüsch. „Warte! Schau!“
Das Band hatte nun einen gleichmäßigen Durchmesser und schien sich nicht weiter zu vergrößern. Vom Mittelpunkt her liefen gleichmäßig Wellen auf den äußeren Rand zu, um sich dort in schwachen Blitzen zu zerstreuen. Doch was Syrill inne halten ließ, war etwas anderes.
Aus der Mitte des Kreises schob sich erst eine Hand, gefolgt von einem Arm in dunkler Kleidung. Auch ein Bein trat plötzlich aus dem Kreis, wie hinter einem Vorhang hervor, um den restlichen Körper nachfolgen zu lassen. Die Gestalt maß etwa sechs Fuß und war in einen dunklen Mantel gekleidet. Die Kapuze des Mantels war tief ins Gesicht gezogen, sodass nicht zu erkennen war, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Die schmale Figur hätte durchaus zu beiderlei Geschlecht gehören können.
Gespannt kauerten die beiden Jungen hinter einem Busch und harrten der Dinge, die sich da abspielten. Vor ihren Augen begann der Lichtkreis, hinter der Gestalt plötzlich wieder zu flimmern und innerhalb weniger Lidschläge zog er sich auf einen kleinen leuchtenden Punkt zusammen, der abrupt in einem schwachen Blitz verschwand. Alles was übrig blieb, war nur die Gestalt.
Ohne lange abzuwarten und scheinbar mit einem konkreten Ziel vor Augen, drehte diese sich um und schritt schnellen Fußes, zwischen den Bäumen hindurch, Syrill und Melton immer weiter hinter sich lassend.
Mehrere Momente hielten die Jungen noch unsicher inne. Erst dann löste sich die Anspannung.
„Was war das?“, fragte Melton noch immer flüsternd seinen Bruder. Die Ereignisse an diesem Tag überforderten ihn so langsam. Doch auch Syrill erging es nicht anders.
„Das muss ein Zauberer oder eine Hexe gewesen sein. Aber nicht so ein Scharlatan wie unserer. Mit allen Tricks und Kunststücken kommt er nicht an das hier ran. Das muss wahre Magie gewesen sein.“
Xarabos, oder Xarabos der Große, wie er sich selbst nannte, war ebenfalls Schausteller in ihrer Gruppe. Er war ein kleiner, dicker und sehr launischer Mann, der sich stets für etwas Besseres hielt. Immer wieder berief er sich auf seine großen magischen Fähigkeiten, doch die Jungen wussten es besser. Schon vor Jahren waren sie an einem Sommertag, in seinen Wagen eingedrungen und hatten sämtliche seiner Kunststücke erkundet. Nachdem er sich wieder einmal den Wanst voll geschlagen hatte, nutzten sie hierzu sein obligatorisches Mittagsschläfchen unter einem schattigen Baum. Nicht eine doppelte Klappe oder ein noch so dünner Faden waren ihnen entgangen. Aber das hier war etwas völlig anderes, dessen waren sich die zwei sicher.
„Wir machen uns jetzt besser auf den Weg.“, entschied schließlich Syrill.
„Meinst du nicht, wir sollten uns erst noch die Stelle dort anschauen, wo gerade der Hexer erschienen ist?“
„Ich weiß nicht.“, entgegnete Syrill unentschlossen. „Und wieso glaubst du eigentlich, dass es ein Mann gewesen ist? Vielleicht war es auch eine Hexe.“
„Ach was, der war doch viel zu groß für eine Hexe. Hexen sind klein und bucklig.“
„Ach, sind sie das?“ Eine kichernde, heisere Stimme ließ die zwei erschrocken herumfahren.

Der nächste Teil folgt wieder am Samstag.

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