Freitag, 30. September 2011

1. Kapitel Teil 7 - Wenige Antworten, viele Fragen

Zügig bewegten sich die zwei Brüder zwischen den Wagen hindurch. Dabei versuchten sie sich, so natürlich wie es nur ging zu verhalten. Schließlich wollten sie sich nur ungern, beim Belauschen ihrer eigenen Eltern ertappen lassen. Am Wagen angekommen, krochen sie sogleich zwischen den Rädern hindurch, unter dessen Boden. Hier kauerten sie sich erst einmal nieder und warteten ab. Als sie sich sicher waren, nicht gesehen worden zu sein, bewegten sie sich etwas freier im Schatten, den der Wagen ihnen bot.
Beide drückten ihr Ohr, so gut es ging, an die Holzunterseite des Wagens.
„Kannst du was verstehen?“, flüsterte Melton seinem Bruder, so leise wie möglich zu. Er selbst hörte nur schwaches Gemurmel durch das Holz hindurch. Syrill schüttelte unmerklich den Kopf, ihm erging es nicht besser.
„Wir brauchen etwas wie einen Becher.“, schlug Melton vor. Dareck hatte ihm einmal gezeigt, wie man durch einen dünnen Metallbecher viel besser hören konnte, was hinter einer Tür oder Wand vor sich ging.
„Woher sollen wir jetzt einen Becher nehmen? Ich hab keinen einstecken.“, zischte Syrill daraufhin bissig hinüber.
„Bleib hier und warte. Ich bin gleich zurück.“
„Was? Wohin willst Du denn…?“, doch Melton war schon unter dem Wagen hervor und verschwunden.
Kopfschüttelnd blieb Syrill zurück. Manchmal hatte sein Bruder solch spontane Einfälle, denen er dann auch sofort, ohne genauer darüber nachzudenken, nachgab.
‚Na ja, mal schauen, ob diesmal etwas Brauchbares bei raus kommt.’, dachte sich Syrill und suchte weiter den Boden, nach einer etwas hellhörigeren Stelle ab.
Plötzlich fand er was er suchte. – Durch ein Astloch hindurch konnte er deutlich die Stimme seines Vaters vernehmen. Das Gespräch schien sehr emotional. Syrill konnte zwar nur die Stimme seines Vaters verstehen, doch diese klang hart und energisch. Nur selten hatte Syrill seinen Vater, abseits der Bühne, so reden hören.
„…aber wieso hier?“ … „Nur Zufall? Das müsste aber ein großer Zufall sein.“ … „Nein, wir haben nichts gemerkt.“ … „Sie sind beide sehr pfiffig. Jeder auf seine Art.“ … „Und ehrlich gesagt sind wir froh, dass wir nichts feststellen konnten.“ … „Pah! Lebensgefahr trifft es besser. Wir hatten es so schon schwer genug, in den letzten Jahren.“
Die Stimme verriet deutlich Besorgnis und Aufregung. Syrill konnte mit den ganzen Gesprächsfetzen nur wenig anfangen. Er wünschte sich, dass endlich Melton mit seinem Becher, oder was auch immer auftauchte. Das ganze Gespräch verunsicherte ihn sehr, denn er war sich ganz sicher, dass es dabei um ihn und Mel ging. Als er endlich Geräusche hinter sich vernahm, spürte er eine große Erleichterung.
„Das wird auch Zeit.“, raunte er, als er sich zu seinem Bruder umwand.
Doch nicht Melton konnte er hinter sich erkennen, sondern das feiste Gesicht von Xarabos, dem Scharlatan. Dieser stand vor dem Wagen und hatte sich zum besseren Sehen herunter gebeugt.
„Da lag ich ja doch richtig.“ Das Gesicht zeigte im schwachen Lampenschein, ein gemeines Grienen. „Was tust Du da? Mach, dass du da hervor kommst, kleine Mistkröte!“ Mit diesen Worten griff er behände nach Syrill und zog ihn an dessen Kragen rabiat aus seinem Versteck hervor.
„Au, du tust mir weh!“, entfuhr es laut dem erschrockenen Jungen.
„Ja, stell dich nur an. Das hilft Dir jetzt auch nicht.“, feixte der Zauberer und hielt ihn weiter fest.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich bereits die Tür des Wagens öffnete und Syrills Vater aus dieser hervor trat.
„Was ist hier los?“, verlangte er zu wissen. In seiner Stimme schwang noch immer dieser ungewöhnlich harte Klang mit. Als sein Blick auf Syrill und Xarabos fiel, schien ihm bereits zu dämmern, was vorgefallen war.
„Ich hab ihn beim Lauschen erwischt, deinen tollen Sohn. Immer nur am Spionieren die kleinen Kröten. Wenn ich du wäre, würde ich sie mal ordentlich übers Knie legen.“
Bei der Vorstellung dessen, konnte der dicke Zauberer erneut ein sadistisches Grinsen nicht unterdrücken.
„Ich bin aber nicht du. Lass ihn also los, Xarabos!“ Hastor winkte dabei seinen Sohn zu sich. Die Enttäuschung, dass der Junge wohl ohne Prügel davon kommen sollte, war deutlich in Xarabos Gesicht zu lesen. Nur widerwillig lockerte sich seine Hand an Syrills Kragen, doch genug, dass der sich endlich dem Griff entwinden konnte und schnell zu seinem Vater trat. Hastor sah dabei seinen Sohn streng an. Er wartete noch, bis sich der enttäuschte Zauberer grummelnd entfernt hatte und atmete dann tief durch.
„Wo ist dein Bruder, Syl? Du warst doch bestimmt nicht allein hier? Oder etwa doch?“
Sein Vater schaute sich kurz um, ob er vielleicht Melton hinter irgendeinem Wagen hervorlugen sah.
„Doch, war ich.“ log Syrill. Er wollte seinen Bruder nicht mit hineinziehen, was immer jetzt auch folgen mochte. Die Art, wie sein Vater sich im Moment verhielt, verdeutlichte ihm noch mehr, dass er bei etwas sehr Wichtigem zugehört hatte. Prüfend besah ihn sein Vater. Er schien Syrills Aussage, nicht ganz Glauben zu schenken, doch erwiderte er nichts darauf und richtete stattdessen seinen Blick wieder geradeaus. Schweigend standen Vater und Sohn vor dem Wagen, während sie die gegenüberliegende Wagenwand anstarrten. Keiner wollte anscheinend dem anderen in diesem Moment in die Augen blicken.
Syrill überlegte, was wohl gerade in seinem Vater vorging und was die alte Frau mit ihrem Erscheinen bei seinen Eltern ausgelöst haben mochte. Er entschied sich als Erster, das Schweigen zu brechen und wandte sich um.
„Vater, wer ist diese Olinga? Sind Mutter und du böse, dass wir sie mitgebracht haben?“ Syrills Stimme bebte bei diesen Fragen. Er wollte seine Eltern nicht enttäuschen. Natürlich verursachte er zusammen mit seinem Bruder, ständig Schwierigkeiten und auch Ärger, doch noch nie war er sich über das Ausmaß seiner Taten so unklar. Er hatte im Moment das Gefühl, einen wirklich großen Fehler begangen zu haben.
Sein Vater bemerkte dies. Auch er drehte sich nun seinem Sohn zu und antwortete: „Nein Syrill, du und dein Bruder, ihr habt nichts Falsches getan.“
Seine Stimme war nun sanft und verständnisvoll. „Olinga hierher zu bringen war genau das Richtige – zumindest nachdem, was sie deiner Mutter und mir erzählt hat.“
„Aber wer ist sie, Vater? Woher kennt ihr sie? Irgendetwas verheimlicht ihr uns doch.“, ließ Syrill nicht locker. Die Worte seines Vaters hatten ihm die Sorge und das ungute Gefühl noch nicht nehmen können.
„Nun Syrill, sie ist dafür verantwortlich, dass wir zwei gesunde Söhne haben. Ihr habt ihr es zu verdanken, dass ihr beide zusammen aufwachsen konntet.“
Diese Antwort rief für Syrill mehr Fragen hervor, als dass sie welche befriedigt hätte.
Hatte Olinga mit ihren Kräutern vielleicht ihm oder seinem Bruder einmal das Leben gerettet? Wann konnte dies geschehen sein, da er sich nicht an die Kräuterfrau erinnern konnte? Gerade wollte er eine dieser Fragen an seinen Vater richten, als er aus dem Wageninneren seine Mutter hören konnte: „Mann, was ist los? Bist du noch da?“
„Ich komme sofort Liebes!“, rief er mit lauter Stimme zurück. Dann leise an Syrill gerichtet: „Wir reden morgen über alles, ja? Ich muss jetzt erst mal sehen, wo wir Olinga für diese Nacht unterbringen.“
Dann drehte er sich um und schritt langsam die Stufen zur Wagentür hinauf. Oben blieb Hastor noch einmal stehen, drehte sich erneut zu seinem Sohn und sagte: „Mach dir keine Sorgen, es ist wirklich alles in Ordnung.“ Dann erst betrat er den Wagen.
Syrill stand fast so ratlos wie zuvor am Fuß der Wagentreppe. Tausend Gedanken wirbelten ihm durch den Kopf, die er so im Moment kaum einordnen konnte. Er musste Melton finden und ihm berichten, was er gehört und erfahren hatte. Als er sich umschaute, konnte er seinen Bruder hinter einem Wagen hervor winken sehen.
Melton war genau rechtzeitig gekommen, um mit ansehen zu können, wie Xarabos seinen Bruder unter dem Wagen hervorzog. Daraufhin hatte er sich sogleich hinter einem der Wagen versteckt und von dort aus die ganze Szene beobachtet. Innerlich platzte Melton bereits fast vor Neugier, was sein Bruder erfahren haben mochte. Als dieser ihm jedoch alles erzählt hatte, erging es ihm nicht anders, als zuvor Syrill.

Weiter geht es am Mittwoch.

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