Dienstag, 27. September 2011

1. Kapitel Teil 6 - Abendessen

Syrill und Melton sahen nun ebenfalls fassungslos zu der alten Frau. In plötzlichem Verstehen, hatte Syrill auf einmal wieder die alte Frau vor Augen und ihren merkwürdigen Gesichtsausdruck, als Melton im Wald von der Wandertruppe ihres Vaters erzählte und dabei auch dessen Namen nannte.
Sie kannte ihre Eltern also – doch warum hatte sie das nicht erzählt? Auch verstand Syrill nicht, warum ihre Eltern gar so überrascht waren, als sie zusammen mit Olinga hierher kamen. Wussten sie denn nicht, dass hier in der Nähe ihre Hütte gestanden hatte? Der Tag war voller ungewöhnlicher Geschehnisse.
Von Hastor und seiner Frau Helmine schien so langsam, die Erstarrung abzufallen und ihre Gedankenwelt sich wieder zu beruhigen. Auf beiden Gesichtern zeigte sich nun, ein erfreutes Lächeln und die übliche Selbstsicherheit kehrte zurück.
„Olinga, was macht ihr denn hier? Auch uns freut es außerordentlich, euch wieder zu sehen. Entschuldigt unsere Überraschung, aber in dieser Gegend hätten wir am wenigsten mit euch gerechnet.“, begrüßte nun Helmine die alte Frau aufs Herzlichste. Auch Hastor trat hinzu und griff nach der hingehaltenen Hand des Mütterchens.
„Was hat euch denn zu uns verschlagen?“, fragte Syrills und Meltons Vater neugierig. „Und wo habt ihr unsere beiden Rabauken aufgetrieben? Das ist ja vielleicht ein Zufall.“
„Mann, wo sind Deine Manieren?“, fiel ihm da seine Frau ins Wort. „Wir haben gerade Essenszeit und natürlich seid ihr gerne eingeladen. Einer unserer Jäger hatte heute großes Glück und konnte ein Wildschwein erlegen. Danach ist noch immer genügend Zeit, uns eure Geschichte zu erzählen. Ihr bleibt doch ein wenig? Kinder, ihr geht euch erstmal fix waschen und du Melton ziehst dir etwas anderes über. Wie siehst du überhaupt wieder aus? Gerade heute war Waschtag.“
Kopfschüttelnd stand die beleibte Frau da, als sie ihren Kindern die üblichen Anweisungen gab, welche die Brüder schon längst kannten und auch erwarteten. Wie immer sprach sie, ohne Punkt und Komma und in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Sie war eine resolute Frau, die ihre besten Jahre schon hinter sich hatte. Streng erzog sie ihre beiden Söhne, doch nie mit unnötiger Härte.
Meister Hastor, wie er sich selbst in der Öffentlichkeit gerne vorstellte, war da um ein vielfaches nachgiebiger. Seinen beiden Söhnen ließ er so manche Schelmerei durchgehen und sorgte auch dafür, dass seine Frau erst gar nicht von so manchen Vorfällen erfuhr. Oft sah er sich selbst in einem seiner beiden Jungen wieder, während seiner eigenen Kindheit. Auch wenn seine Frau des Öfteren über den Unfug der beiden schalt, musste er doch immer wieder schmunzeln.
So gingen die drei Erwachsenen also gemeinsam zum Lagerfeuer, während die beiden Jungen sich erst einmal in Richtung Bach begaben. Melton hatte sich noch schnell ein Leibchen aus ihrem Wagen geholt und nun wuschen sie sich ausgiebig, bevor sie wieder ihrer Mutter unterkommen wollten. Das Wasser war klar und angenehm kühl.
„Was denkst du? Warum hat sie uns nicht erzählt, dass sie Vater und Mutter kennt?“, fragte Syrill seinen Bruder.
Dieser tauchte gerade seinen ganzen Kopf unter die Wasseroberfläche, um den klebrigen Rest Saft aus seinem Haar zu waschen. Prustend kam er wieder hoch und schüttelte sich das Wasser aus den Haaren.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht war sie sich einfach nicht sicher, ob sie wirklich Vater und Mutter kennt.“ Erneut tauchte Melton seinen Kopf in das frische Nass. „Aber sie scheinen sich wirklich über das Treffen zu freuen.“, beendete er seinen Satz, als er wieder nach oben kam.
„Na, ich weiß nicht. Mir kamen sie zu Beginn mehr erschrocken vor. Besonders, wie sie dabei auch uns immer wieder ansahen. Irgendwas stimmt hier nicht.“, sprach Syrill darauf seine Beobachtungen und Mutmaßungen aus. „Aber jetzt komm schon. Du bist sauber genug.“
Schnell stapfte Melton daraufhin aus dem seichten Wasser und zog sein frisches Hemd über.
Sofort sog es sich an seiner nassen Haut fest. Danach beeilten sie sich, noch rechtzeitig zum Essen zu kommen.

Natürlich waren die besten Stücke schon weg, als sie ankamen, doch an den Rippen hing noch immer genug, sodass auch Melton und Syrill mehr als satt wurden. Bei den derzeitigen Sommertemperaturen hielt sich Fleisch nicht besonders lange, weshalb sich auch immer alle den Bauch voll schlugen, wenn es mal solch einen üppigen Braten gab. Niemand war besonders erpicht darauf, auch nur das geringste Bisschen den Fliegen, oder anderem Getier zu überlassen.
Melton fragte sich, während er so an einer Wildschweinrippe herumnagte, ob diese vielleicht von dem Eber stammte, der sie heute Nachmittag auf einen Baum gejagt hatte. Bei der Vorstellung dessen, stahl sich ein Grinsen auf seine Lippen und es schmeckte ihm noch mal so gut.
Syrill hing stattdessen mehr seinen Gedanken nach. Auch er aß, was er nur konnte, doch beobachtete er dabei seine Eltern und Olinga genauestens. Keines von den anderen Gruppenmitgliedern schien das Mütterchen zu kennen, zumindest machte niemand Anstalten, die darauf hingedeutet hätten.
Man sprach zwar mit ihr, wie es üblich war bei Gästen, doch Vertrautheiten konnte Syrill aus den meist kurzen Gesprächen nicht herausdeuten. Erschwert wurde dies jedoch auch durch den Platz, den die beiden Brüder einnehmen mussten. Als sie endlich vom Waschen zurück gekommen waren, saßen ihre Eltern bereits so, dass sie sich nur gegenüber, auf der anderen Seite des Feuers niederlassen konnten. Umso mehr versuchte Syrill genau zu verfolgen, worüber seine Eltern mit Olinga sprachen.
Mittlerweile war die Sonne vollständig hinter den Bäumen verschwunden und der Mond stand hell am Firmament. Es sollten nur noch wenige Nächte vergehen, bis er seine ganze Fülle erreichen würde. Die Lichtung und die Wagen waren außer von dessen silbernem Licht, noch vom Schein des Lagerfeuers und der diversen Öllampen erleuchtet, die an den Wagen hingen. Auf den Bäumen war ein gespenstisches Schattenspiel zu beobachten, als die ersten Vagabunden wieder ihre Instrumente ergriffen und ein paar der Übrigen, zur Musik um das Feuer herum tanzten.
„Na Jungs, wie hat euch mein Schwein geschmeckt?“
Marius, einer der Männer, die normalerweise bei längeren Aufenthalten in der Wildnis auf die Jagd gingen, hatte sich zwischen Syrill und Melton fallen gelassen. Er war ein großer, stämmiger und nicht gerade geistig sehr heller Mann. Er erfüllte so etliche Klischees, die immer wieder über Männer mit solch einer Statur kursierten. Bei der Gruppe war er eigentlich als „Aufbauer“ beschäftigt und sorgte zusätzlich für Ruhe, wenn es ab und an zu Ausschweifungen von betrunkenem Publikum oder zu anderen Störungen, während den Vorstellungen kam. Für diese war er nicht zu gebrauchen, weil er sich einfach keinen Text merken konnte und noch dazu des Lesens nicht mächtig war.
Doch heute hatte er das große Glück, dass ihm ein prächtiger Wildhauer direkt vor die Armbrust gelaufen war. Mehr aus Schreck, als aus Absicht, hatte er den Abzug betätigt und damit das große Tier auch noch sofort niedergestreckt. In seiner Version jedoch, die er nun jedem kundtat – egal ob dieser es hören wollte oder nicht – hatte sich dies alles natürlich ein klein wenig anders zugetragen.
„Es war ein zähes Biest, sag ich euch. Hab’s ein paar Mal heute vor dem Bolzen gehabt, doch hab ich immer auf den richtigen Moment gewartet. Als ich es dann endlich wissen wollte, ist es direkt auf mich zu gerannt. Doch hab ich mich nicht aus der Ruhe bringen lassen.“
Der große Mann hielt nun seine Hände, als wenn er eine Armbrust halten würde und kniff ein Auge dabei zu, während er von seiner angeblichen Heldentat berichtete. Doch Syrill achtete kaum auf ihn. Seine Eltern und Olinga waren gerade aufgestanden und machten sich auf, in Richtung ihres Wagens. Syrill tippte seinem Bruder an dessen Knie. Als dieser Marius ausschweifende Erzählung kurz außer Acht ließ, nickte Syrill leicht in Richtung der sich entfernenden Eltern. Melton verstand sofort, was Syrill ihm zu verstehen geben wollte. Sie warteten noch, bis die Eltern den Wagen erreicht und hineingegangen waren, als sie sich ebenfalls erhoben.
„Erst im letzten Moment, als er mich schon fast berührte… he, wo wollt Ihr denn hin? Ich bin doch noch gar nicht fertig.“, beschwerte sich der Hüne, als er gerade bei dem Höhepunkt seiner Geschichte angelangt war.
„Ich glaub, wir wissen, wie es ausging.“, antwortete Syrill und warf ihm dann lässig einen Knochen zu.
„Außerdem haben wir heute genug von Wildschweinen gehabt.“, fügt Melton noch hinzu. „Wobei… da fällt mir eine Sache ein. Hatte das Schwein vielleicht zufällig einen großen roten Fleck auf dem Rücken?“
Doch noch bevor Marius überhaupt Zeit gehabt hätte, dem zu antworten, zog Syrill bereits seinen Bruder mit sich fort.
Zurück blieb ein ziemlich dämlich drein blickender Mann, der so gar nicht recht erfassen konnte, was hier gerade vorgefallen war.

Den nächsten Teil könnt ihr hier wieder am Samstag finden.

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