„Ihr seid zu früh.“,
begrüßte sie ein älterer Mann in weißem Wappenrock, mit dem
schlanken Turm der Stadt darauf. „Die Kämpfe beginnen erst nach
der Eröffnung und auch dann werden wir noch etwas Zeit verstreichen
lassen, damit die Zuschauer der Zeremonie es noch rechtzeitig her
schaffen. Hat Euch Stadtoberster Goldwien hiervon nichts gesagt? Er
selbst möchte den Schwertern heute ebenfalls beiwohnen.“
„Nein, das muss er wohl
vergessen haben.“, erwiderte der Bär mit gepresster Stimme.
Scheinbar musste er sich gerade etwas zusammennehmen. „Wie auch
immer, ich bin jetzt hier. Zeig mir die Stätte und die Waffen, damit
ich bereits meine Wahl treffen kann. Außerdem kannst du uns danach
zu meinem Platz führen.“
'Uns?' Kelor dachte, er
hätte sich vielleicht verhört. Er wollte eigentlich nur noch
geduldig warten, bis der Freiherr ihn entlassen hatte, aber das
schien nicht im Interesse des schwarzen Bären zu liegen.
Während der hier zuständige
Richter des Spiels sie in die Mitte der Arena führte, versuchte
Kelor noch einmal sein Glück: „Mein Hoch..., ich meine Herr. Mein
Dienst...“
Der Freiherr blieb abrupt
stehen und drehte sich zu Kelor: „Hör mir jetzt mal gut zu. Ich
wiederhole mich nie und bei dir fange ich erst recht nicht damit an.
Mein Knappe ist in unserer
Unterkunft, um dort mein Pferd zu versorgen. Mein weiterer Knappe ist
heute morgen nicht aufgetaucht, was bedeutet, dass er irgendwo tot in
der Gosse liegt, denn wenn er das nicht täte, würde ich ihn selbst
dorthin verfrachten. Für die Kämpfe und das Drumherum benötigt es
einen Adjutanten, wenn man sich nicht völlig lächerlich machen
möchte. Wenn sich irgendwelche Bauern hier allein versuchen wollen,
ist das ihre Sache, aber ich bin kein Bauer, oder hältst du mich
etwa dafür?“ Seine Stimme hatte bei der letzten Frage an Schärfe
gewonnen und Kelor beeilte sich, dies zu verneinen.
„Also, dann sind wir uns
ja einig. Und wie es auf einem Turnier normalerweise abläuft, wirst
du ja wohl hoffentlich nicht komplett durch diese beschissene
Gardistenausbildung vergessen haben.“ Kelors Gedanken machten einen
Sprung, was der Bär wohl in seinen Augen sehen konnte.
„Schau nicht so. Ja, ich
kannte deinen Vater und auch dein Gesicht ist mir nicht völlig
fremd, wenn es auch bereits ein paar Winter her sein dürfte, dass
ich mit ihm an einem Tisch saß.“
Da geschah es also – das
wovor Kelor schon die ganze Zeit Angst gehabt hatte. Die
Konfrontation mit seiner Vergangenheit.
Kelors Vater, schon alt bei
dessen Geburt, war ein einfacher Soldat gewesen, der durch reines
Glück seinem König, in einer wenig ruhmreichen Schlacht das Leben
rettete. Seine Heldentat jedoch hatte einen Preis und kostete ihn
einen Arm, was auch des Königs Geschenk, zeitlebens nicht wieder
wett machen konnte. Er erhielt von seiner Hoheit den Ritterschlag,
sowie eine kleine Länderei, auf der er schließlich versauerte.
Kelor hatte von klein auf
erlebt, dass eine Ritterschaft nicht nur Vorteile brachte, wie das
einfache Landvolk oft annahm. Sie verschlang Unsummen an Gold, das
irgendwie aufgebracht werden musste. Der kleine Landstrich, mit dem
einen darin befindlichen Dorf, warf an Steuern gerade einmal genug
ab, um die mit dem Titel verbundenen Kosten halbwegs zu decken. Ein
Mann, der sein bisheriges Leben nur an der Waffe verbracht hatte,
musste sich plötzlich mit Lehen und Grenzzwistigkeiten unter Bauern
herumschlagen. Schon oft hatte sich Kelor bereits gefragt, ob er
seinen Vater je wahrlich glücklich erlebt hatte, doch wenn es so
war, hatte dieser es sich nicht anmerken lassen. Stattdessen war es
Gleichgültigkeit und Verbitterung, die Kelor mit seinem Vater
verband. Trotz dem hatte Sir Eklon seine Söhne auf jedes Turnier der
Umgebung mitgeschleppt und die Abende bei Tisch, mit anderen Rittern
und Kämpen, waren in Kelors Erinnerung die erträglichsten.
Er hätte es nicht für
möglich gehalten, dass sich ausgerechnet ein Ritter wie Sir Roderick
an ihn erinnern könnte. Er wusste, dass er seinem Vater, unter
seinen Brüdern, am ähnlichsten sah, aber der Platz ihrer Familie
war stets am äußersten Ende der Tafeln gewesen.
Doch das lag schon einige
Jahre zurück, so wie auch der Bär es richtig erkannt hatte. Als Sir
Eklon immer stärker an der Schüttellähmung erkrankte, war ihm das
Reisen nicht mehr möglich und seine Gemütsschwankungen wurden für
Kelor immer unerträglicher. Als es dann besonders schlimm war,
packte Kelor schließlich seine Sachen und machte sich davon. Weder
seinen Brüdern, noch irgendjemandem sonst vertraute er sich an. Er
schnürte nur ein kleines Bündel, nahm die wenigen Habseligkeiten,
die ihm gehörten und auch etwas bedeuteten und lief davon. Er wollte
wenigstens zehn volle Reisetage zwischen sich und sein Zuhause
bringen, bevor er an ein Bleiben dachte. Am Ende wurden es sechzehn
und nicht ein einziges Pferd, das sich ihm von hinten näherte, trug
einen Diener seines Vaters oder einen seiner Brüder auf der Suche
nach ihm. Kelor wusste nicht, ob er tief in sich glücklich oder
betrübt hierüber war. Kosch jedoch, dem er seine Geschichte am
letzten Abend, als erstem überhaupt erzählt hatte, hielt es für
äußerst traurig und schien ihn auch irgendwie wütend zu machen. Ob
es nur an etlichen Krügen Ale gelegen hatte, die dabei die Kehle des
Zwergs hinab geflossen waren, konnte Kelor erst nicht einschätzen,
denn er meinte gar feuchte Augen bei dem wackeren Felsenschmetter
gesehen zu haben. Doch viel, was der Zwerg ihm im Anschluss über
dessen eigenen Familienzusammenhalt und Clantreue erzählte, lies ihn
Koschs Sichtweise dann besser verstehen. Weitere Gründe, die ihn das
Volk der Zwerge in einem anderen Licht sehen ließen.
„Mein Herr, Ihr sagt, Ihr
kanntet meinen Vater. Wollt ihr damit sagen...?“ Kelor hatte
vor der Antwort plötzlich mehr Angst, als er sich zuvor je
vorgestellt hatte, wenn er an das Unvermeidliche dachte.
„Was weiß ich, da du hier
im Gardistenrock rumrennst, nehme ich das mal an. Wenn du es selbst
aber nicht weißt, kann ich es dir auch nicht sagen. Jetzt aber genug
geschwafelt. Arbeit wartet.“ Und damit schloss Sir Roderick wieder
zu dem Richter in der Mitte der Arena auf, wo der geduldig auf den
Freiherrn wartete.