Sonntag, 15. Juli 2012

3. Kapitel Teil 12 - Konfrontation mit der Vergangenheit


„Ihr seid zu früh.“, begrüßte sie ein älterer Mann in weißem Wappenrock, mit dem schlanken Turm der Stadt darauf. „Die Kämpfe beginnen erst nach der Eröffnung und auch dann werden wir noch etwas Zeit verstreichen lassen, damit die Zuschauer der Zeremonie es noch rechtzeitig her schaffen. Hat Euch Stadtoberster Goldwien hiervon nichts gesagt? Er selbst möchte den Schwertern heute ebenfalls beiwohnen.“
„Nein, das muss er wohl vergessen haben.“, erwiderte der Bär mit gepresster Stimme. Scheinbar musste er sich gerade etwas zusammennehmen. „Wie auch immer, ich bin jetzt hier. Zeig mir die Stätte und die Waffen, damit ich bereits meine Wahl treffen kann. Außerdem kannst du uns danach zu meinem Platz führen.“
'Uns?' Kelor dachte, er hätte sich vielleicht verhört. Er wollte eigentlich nur noch geduldig warten, bis der Freiherr ihn entlassen hatte, aber das schien nicht im Interesse des schwarzen Bären zu liegen.
Während der hier zuständige Richter des Spiels sie in die Mitte der Arena führte, versuchte Kelor noch einmal sein Glück: „Mein Hoch..., ich meine Herr. Mein Dienst...“
Der Freiherr blieb abrupt stehen und drehte sich zu Kelor: „Hör mir jetzt mal gut zu. Ich wiederhole mich nie und bei dir fange ich erst recht nicht damit an.
Mein Knappe ist in unserer Unterkunft, um dort mein Pferd zu versorgen. Mein weiterer Knappe ist heute morgen nicht aufgetaucht, was bedeutet, dass er irgendwo tot in der Gosse liegt, denn wenn er das nicht täte, würde ich ihn selbst dorthin verfrachten. Für die Kämpfe und das Drumherum benötigt es einen Adjutanten, wenn man sich nicht völlig lächerlich machen möchte. Wenn sich irgendwelche Bauern hier allein versuchen wollen, ist das ihre Sache, aber ich bin kein Bauer, oder hältst du mich etwa dafür?“ Seine Stimme hatte bei der letzten Frage an Schärfe gewonnen und Kelor beeilte sich, dies zu verneinen.
„Also, dann sind wir uns ja einig. Und wie es auf einem Turnier normalerweise abläuft, wirst du ja wohl hoffentlich nicht komplett durch diese beschissene Gardistenausbildung vergessen haben.“ Kelors Gedanken machten einen Sprung, was der Bär wohl in seinen Augen sehen konnte.
„Schau nicht so. Ja, ich kannte deinen Vater und auch dein Gesicht ist mir nicht völlig fremd, wenn es auch bereits ein paar Winter her sein dürfte, dass ich mit ihm an einem Tisch saß.“
Da geschah es also – das wovor Kelor schon die ganze Zeit Angst gehabt hatte. Die Konfrontation mit seiner Vergangenheit.

Kelors Vater, schon alt bei dessen Geburt, war ein einfacher Soldat gewesen, der durch reines Glück seinem König, in einer wenig ruhmreichen Schlacht das Leben rettete. Seine Heldentat jedoch hatte einen Preis und kostete ihn einen Arm, was auch des Königs Geschenk, zeitlebens nicht wieder wett machen konnte. Er erhielt von seiner Hoheit den Ritterschlag, sowie eine kleine Länderei, auf der er schließlich versauerte.
Kelor hatte von klein auf erlebt, dass eine Ritterschaft nicht nur Vorteile brachte, wie das einfache Landvolk oft annahm. Sie verschlang Unsummen an Gold, das irgendwie aufgebracht werden musste. Der kleine Landstrich, mit dem einen darin befindlichen Dorf, warf an Steuern gerade einmal genug ab, um die mit dem Titel verbundenen Kosten halbwegs zu decken. Ein Mann, der sein bisheriges Leben nur an der Waffe verbracht hatte, musste sich plötzlich mit Lehen und Grenzzwistigkeiten unter Bauern herumschlagen. Schon oft hatte sich Kelor bereits gefragt, ob er seinen Vater je wahrlich glücklich erlebt hatte, doch wenn es so war, hatte dieser es sich nicht anmerken lassen. Stattdessen war es Gleichgültigkeit und Verbitterung, die Kelor mit seinem Vater verband. Trotz dem hatte Sir Eklon seine Söhne auf jedes Turnier der Umgebung mitgeschleppt und die Abende bei Tisch, mit anderen Rittern und Kämpen, waren in Kelors Erinnerung die erträglichsten.
Er hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich ausgerechnet ein Ritter wie Sir Roderick an ihn erinnern könnte. Er wusste, dass er seinem Vater, unter seinen Brüdern, am ähnlichsten sah, aber der Platz ihrer Familie war stets am äußersten Ende der Tafeln gewesen.
Doch das lag schon einige Jahre zurück, so wie auch der Bär es richtig erkannt hatte. Als Sir Eklon immer stärker an der Schüttellähmung erkrankte, war ihm das Reisen nicht mehr möglich und seine Gemütsschwankungen wurden für Kelor immer unerträglicher. Als es dann besonders schlimm war, packte Kelor schließlich seine Sachen und machte sich davon. Weder seinen Brüdern, noch irgendjemandem sonst vertraute er sich an. Er schnürte nur ein kleines Bündel, nahm die wenigen Habseligkeiten, die ihm gehörten und auch etwas bedeuteten und lief davon. Er wollte wenigstens zehn volle Reisetage zwischen sich und sein Zuhause bringen, bevor er an ein Bleiben dachte. Am Ende wurden es sechzehn und nicht ein einziges Pferd, das sich ihm von hinten näherte, trug einen Diener seines Vaters oder einen seiner Brüder auf der Suche nach ihm. Kelor wusste nicht, ob er tief in sich glücklich oder betrübt hierüber war. Kosch jedoch, dem er seine Geschichte am letzten Abend, als erstem überhaupt erzählt hatte, hielt es für äußerst traurig und schien ihn auch irgendwie wütend zu machen. Ob es nur an etlichen Krügen Ale gelegen hatte, die dabei die Kehle des Zwergs hinab geflossen waren, konnte Kelor erst nicht einschätzen, denn er meinte gar feuchte Augen bei dem wackeren Felsenschmetter gesehen zu haben. Doch viel, was der Zwerg ihm im Anschluss über dessen eigenen Familienzusammenhalt und Clantreue erzählte, lies ihn Koschs Sichtweise dann besser verstehen. Weitere Gründe, die ihn das Volk der Zwerge in einem anderen Licht sehen ließen.

„Mein Herr, Ihr sagt, Ihr kanntet meinen Vater. Wollt ihr damit sagen...?“ Kelor hatte vor der Antwort plötzlich mehr Angst, als er sich zuvor je vorgestellt hatte, wenn er an das Unvermeidliche dachte.
„Was weiß ich, da du hier im Gardistenrock rumrennst, nehme ich das mal an. Wenn du es selbst aber nicht weißt, kann ich es dir auch nicht sagen. Jetzt aber genug geschwafelt. Arbeit wartet.“ Und damit schloss Sir Roderick wieder zu dem Richter in der Mitte der Arena auf, wo der geduldig auf den Freiherrn wartete.

Sonntag, 1. Juli 2012

3. Kapitel Teil 11 - Eine kurze Aufwartung


Eine angenehme Kühle lag in den weiter innen liegenden Gängen des Ratsgebäudes. Die Hitze des Morgens war noch nicht durch die dicken Mauern gedrungen und auf Grund der Ereignisse außerhalb, waren die Flure auch nur spärlich besucht. Die unteren Stockwerke, in denen sich die überwiegende Anzahl der Amtsstuben befanden, waren fast vollständig verwaist und man hörte nur die schweren Stiefel von Kelors Begleiter. Seine eigenen Schritte gingen dabei fast völlig unter. Er beeilte sich, den Freiherrn so schnell es ging, zu dessen Ziel zu führen. Die kühle Luft wäre zwar eine willkommene Abwechslung gewesen, doch er konnte sie so, nur schwerlich genießen.
Als sie sich dem Festsaal im obersten Stock näherten, hörte man von drinnen bereits entspanntes Lachen und gedämpfte Stimmen durch die Tür hindurch.
„Hier ist es Euer Hochwohlgeboren.“, Kelor wies auf die Tür, in der Hoffnung, dass er sich nun wieder entfernen könnte.
„Schön, dann mach schon auf und führ' mich hinein!“, kam stattdessen nur die harsche Anweisung.
Kelor überlegte kurz, ob er protestieren und auf seine aktuellen Befehle verweisen sollte, aber er ahnte, dass das den Bären kaum interessieren würde. Und eine entsprechende Reaktion wollte er sich gerne ersparen. Er öffnete also die Tür und tat, wie ihm geheißen.
Im Saal war es deutlich wärmer als auf den Fluren. Zum einen mochte das an den gut fünfzig Personen liegen, die sich hier befanden, wie auch an den mehreren, mannshohen Glastüren, die hinaus auf den langen Balkon führten. Der Raum selbst war in den Farben Weißenburgs und der umliegenden Adelsgeschlechter geschmückt, von denen wohl die meisten auch gerade persönlich zugegen waren. Mehrere Diener gingen umher und füllten die Kelche, der teilweise recht pompös gekleideten Gäste immer wieder auf. Dazwischen befand sich auch der ein oder andere Gerüstete mit Schwert und Waffenrock. Sogar ein paar Sänger und Musiker spielten zur Unterhaltung ihre Lieder in den verschiedenen Ecken des Saals, was zu einem recht wirren Durcheinander führte und wohl eine Art gespielten Wettstreit darstellen sollte.
Nachdem der Bär sich kurz umgesehen hatte, befahl er Kelor ihn zum Ratobersten Goldwien zu führen. Auch der junge Gardist musste sich erst gründlich umschauen, bevor er ihn in dem Treiben ausmachen konnte. Er verkniff sich ein Seufzen und trabte dann gehorsam los, während der Freiherr ihm folgte.
Der Ratsoberste strahlte über das ganze Gesicht als ob der Freiherr ein alter Freund von ihm wäre: „Ah, mein guter Roderick. Ob Ihr es glaubt oder nicht, aber wir sprachen just gerade über Euch und Euer fehlendes Erscheinen. Seine Durchlaucht hier,“ er zeigte auf einen untersetzten Mann neben ihm, „wollte schon eine Wette anbieten, dass Ihr bereits auf direktem Weg zur Schwertarena seid.“ Dabei lachten beide, als ob sie einen großartigen Witz gemacht hätten, was der Bär jedoch mit stoischer Ruhe hinnahm.
Als sie sich scheinbar endlich genug amüsiert hatten, entgegnete er jedoch trocken: „Nun, der Anstand gebietet es, dem Stadtherren meine Aufwartung zu machen. Dem kam ich hiermit nach.“ Schon im Abwenden, hielt er dann jedoch noch einmal inne. „Euren Gardisten nehme ich mir übrigens mit, um mich in diesen Drecksstraßen nicht wieder zu verlaufen.“
Kelor war über so viel Dreistigkeit fassungslos, doch die beiden Männer schien die Respektlosigkeit kaum zu stören. Sie lachten beide wieder lauthals los.
„Tut das, tut das.“, rief Goldwien ihm nach, dann lauter in die Menge: „Ich setze zwanzig Goldadler auf den schwarzen Bären mit dem Schwert.“
Kelor beeilte sich zu folgen. Als sie endlich in den Fluren wieder ungestört waren, nahm er sich zusammen und versuchte es nun doch, jedoch mit nur wenig Überzeugung in der Stimme: „Euer Hochwohlgeboren, ich möchte ungern unverschämt wirken, aber ich habe Befehle, die ich einzuhalten gedenke.“
„So? Gedenkst du das? Schenk dir das geschwollene Gehabe. Das passt nicht zu einem Gardisten. Auch den Hochwohlgeboren kannst du dir sonstwohin stecken Junge.“
Kelor war überrascht, doch der Bär sprach weiter: „Du hast deinen Stadtobersten gehört. Ich habe seine Zustimmung; und wenn er seine Wette nicht verlieren soll, nur weil ich zu meinem ersten Kampf zu spät komme, bringst du mich besser schnellstens dorthin.“
Dieses Mal konnte Kelor sein Seufzen nur schwer unterdrücken, aber so wie es aussah, hatte er wohl wieder keine andere Wahl.

Es war kein einfaches Unterfangen, zur Schwerarena zu gelangen. Das ganze Volk strömte gen Stadtmitte und der Platz lag etwas davon entfernt. Da der Schwertkampf jedoch in den Augen des Zeremonienmeisters zu den Publikumsmagneten zählte, befand sich die Arena nicht allzu weit entfernt. Kelor musste trotzdem einige Umwege wählen, bis sie endlich ihr Ziel erreicht hatten.
Ganz ähnlich der Arena der Kräfte, wo es dank Koschs tatkräftiger Mithilfe zu der großen Keilerei gekommen war, war auf dem Platz des Himmels eine ebensolche Holzkonstruktion errichtet worden. Der Tempel Haevons lag gleich dahinter. Alle vier Plätze der Götter würden zu Wettkampfstätten in den nächsten Tagen werden, in der Hoffnung, dass die Kämpfer dabei auch deren Gunst empfangen würden. Die jeweiligen Sieger würden somit auch zu den Champions der Götter ausgerufen werden. Ein Titel, den wohl so mancher gerne tragen wollte.
Nicht so Freiherr Roderick. Im ging es nicht um Titel, sein Ruf war auch so schon legendär. Ihm ging es um das Messen mit den anderen Kämpfern und eventuell ein paar davon für Bärenfels zu rekrutieren.