Freitag, 9. September 2011

1. Kapitel Teil 1 - Die Jagd

Die Jagd dauerte nun schon eine ganze Weile. Immer wieder war ihm sein Ziel mit knapper Not entkommen. Geschickter als erhofft, das musste er sich eingestehen. – Nun ja, jeder machte mal einen Fehler, doch dieser ließ sich noch immer korrigieren.
Leise schlich er durch das Unterholz, stets bedacht, seine unmittelbare Anwesenheit durch keinen knackenden Ast oder ähnliches zu verraten. Es hatte in diesem Sommer nun schon länger nicht mehr geregnet und das Holz war trocken. Er wusste, dass er irgendwo auf ihn wartete – lauerte.
Vorsichtig schaute er sich um und versuchte immer wieder konzentriert zu lauschen, doch außer den üblichen Waldgeräuschen war nichts zu vernehmen.
Es konnte doch nicht ständig so weitergehen, dachte er bei sich. Dieses Mal wollte er ihn haben. Er sollte büßen für all die Schmach, die er ihm immer wieder bei ihren Jagden angetan hatte.
Da! Ein leises Knacken ganz in seiner Nähe. Schnell richtete er seinen Blick nach rechts und erspähte eine leichte Bewegung in einem Busch direkt neben einer gewaltigen Eiche.
Zügig bewegte er sich darauf zu, den Kopf geduckt, um sich nicht zu verraten. Mit einem, für seine schmächtige Figur, gewaltigen Satz, sprang er um den Busch herum. Ohne richtig zu zielen warf er eine seiner faustgroßen Objekte in die ungefähre Richtung seines Gegners – und traf ein Schwein.
Erstarrt stand der Junge da. Er sah, wie die große Beere am Rücken des mächtigen Wildhauers zerplatzte und sich roter klebriger Saft über das Fell ergoss.
'Mist!', war alles, was ihm in den Sinn schoss. Dann drehte er sich um und nahm seine Beine in die Hand.
Er hatte mit dem verdutzten Gesicht seines Bruders gerechnet und nicht mit solch einem gewaltigen, schwarzen Keiler. – Das war nicht gut, gar nicht gut.
Er rannte was das Zeug hielt und scherte sich nicht darum, wie ihm immer wieder Sträucher und Äste ins Gesicht und gegen seinen Körper schlugen. Hinter sich konnte er das wütende Schnauben und Stampfen des Hauers hören.
Wieder entfuhr im ein „Mist!“ während er sich krampfhaft nach einer Rettung umsah. Wo waren all die tief hängenden Äste, wenn man sie brauchte?
Den heißen Atem des Ungetüms, schon fast auf seinen nackten Beinen spürend, wählte er den nächstbesten Baum. Er sprang mit all seiner Kraft einem dicken Ast entgegen, als ihm eine pralle, rote Beere direkt ins Gesicht klatschte.
Vor Schreck hätte er beinahe wieder los gelassen, doch geistesgegenwärtig hielt er sich fest und zog sich höher. Blind von dem Saft, der ihm die Augen verklebte und mehr schlecht als Recht seine Position unter Kontrolle habend, klammerte er sich an den Ast.
Am Boden, keine fünf Bäume entfernt, stand der eigentlich Gesuchte und war, beim Anblick des Wildhauers, nicht minder überrascht. Sofort kletterte auch er einen Baum hinauf, um sich dort in Sicherheit zu bringen. Behände und leicht gelang es ihm, sich von einem Ast zum nächsten zu hangeln. Endlich erreichte er eine Position, von der aus er seinen Bruder gut im Blick hatte.
„Mel, alles in Ordnung mit dir? Ich denke, du schuldest mir wieder einen Abwasch.“
Melton, wie der Junge eigentlich richtig hieß, hatte sich endlich die Farbe aus den Augen gerieben, sodass er zumindest ansatzweise wieder etwas erkennen konnte.
„Was anderes fällt dir nicht ein, hä?“ Vorsichtig setzte sich Melton auf dem Ast auf. Es war ein erbärmlicher Anblick, den der erst zwölf Sommer zählende Junge bot. Sein normalerweise hellbraunes Haar hing ihm in roten Strähnen ins Gesicht und die große pralle Beere hatte fast seinen gesamten Oberkörper eingefärbt. Unsicher hielt er sich auf dem Baum, unter dem sich noch immer der Keiler befand.
„Und jetzt Blödmann, was tun wir jetzt? Hast du noch andere Ideen, als nur auf mich zu schmeißen?“, rief Melton verärgert hinüber.
Sein Bruder Syrill musste lachen. „Wenn ich mir deinen neuen Spielgefährten so anschaue, dann war es mit deinen Ideen auch nicht viel weiter her.“
Die rote Farbe auf dem Eber war noch immer deutlich zu erkennen.
Stets gut gelaunt, war Syrill der größere der Beiden. Wo sein Bruder Melton meistens ruhig und etwas in sich gekehrt war, kompensierte Syrill dies völlig. Die meisten Spiele mit denen sich die zwei immer wieder in Schwierigkeiten brachten, waren auf seinem Mist gewachsen. Jedoch verdankten sie es in der Regel auch ihm, dass sie sich bisher, aus jedem Schlamassel wieder herausbugsieren konnten. Sei es mit Worten oder weiteren Taten.
„Ich glaube, dass wir es dieses Mal aussitzen müssen. Irgendwann wird es deinem Freund schon zu langweilig und deinen Gestank von da oben wird er ja auch nicht ewig ertragen können.“
Melton ging auf diese Beleidigung gar nicht mehr ein. Er hatte sich in der Zwischenzeit auf seinen Ast gestellt und ein Stück Holz von etwas weiter oben abgebrochen. Dieses Stück warf er nun in ein Gebüsch hinter dem Eber. Er hoffte das Tier damit etwas ablenken und weglocken zu können, doch es drehte sich noch nicht einmal um.
So saßen die zwei also, jeder auf seinem Baum und warteten, dass der Eber endlich das Weite suchte. Syrill beobachtete das Schwein genau. Ständig schnüffelte es um den Baum herum, auf dem sich sein Bruder Melton aufhielt. Sich schon auf eine längere Sitzung einstellend, sah er wie das Tier auf einmal inne hielt. Als läge plötzlich noch eine andere Witterung in der Luft, die es erst einzuordnen galt, stand das große Tier ruhig da. Doch dann drehte es sich um und sprang davon. Verdutzt schauten die Jungen dem Keiler nach, wie der durch das Unterholz brach und Momente später, nur noch in der Ferne immer leiser zu hören war.
„Was war das?“, rief Syrill zu seinem Bruder hinüber. „Hast du mal wieder einen fahren lassen?“
„Ja, ja. Das mit dem Gestank hatten wir heute schon, Syl.“, gab Melton schnippisch zurück und kletterte langsam und vorsichtig seinen Baum hinab. Syrill tat es ihm gleich, sprang jedoch mehr von einem Ast zum nächsten und gelangte so sicher und geschickt, noch vor seinem Bruder zu Boden.
Neugierig schaute sich Syrill um. Was hatte den Eber nur veranlasst so schnell das Weite zu suchen? Sorgfältig ließ er seinen Blick, über das umliegende Gelände schweifen. Irgendetwas schien ihm tatsächlich anders als zuvor. Nur was?
Melton stand nun neben ihm: „Syrill, horch mal!“
„Was ist?“, fragte er beiläufig.
„Nein, du sollst horchen!“
Syrill lauschte und plötzlich wusste er, was nicht stimmte. – Der Wald. Es fehlten jegliche Geräusche. Kein Vogelgezwitscher war zu hören, kein Knacken von Ästen, nicht einmal das Rauschen der Blätter im Wind. Alles schien beunruhigt den Atem angehalten zu haben und wie erstarrt. Die einzigen Laute kamen von den beiden Jungen selbst.
„Vielleicht sollten wir zurück zum Lager?“, fragte Melton unsicher. „Das macht mir alles keinen guten Eindruck hier.“
„Ja, du hast Recht. Wir sollten los.“

Weiter geht es wieder am Mittwoch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen