Samstag, 24. September 2011

1. Kapitel Teil 5 - Wiedersehen

Schon von weitem konnten sie Musik und gedämpftes Lachen hören. Viele aus der Gruppe sangen gen Abend gemeinsam ihre Lieder. Fast jeder konnte ein Instrument spielen und tat dies teilweise auch während den Vorstellungen.
Die Brüder wussten, dass es wohl bald Abendessen geben musste, denn normalerweise wurden die Weisen erst angestimmt, wenn das gemeinsame Essen zubereitet wurde. Die Musik hatte sich zu so etwas wie einem Zeichen entwickelt. Alle, die noch im näheren Umkreis unterwegs und mit ihren täglichen zusätzlichen Aufgaben wie Holz holen beschäftigt waren, wussten so, dass es Zeit war ins Lager zurückzukehren. Syrill und Meltons Mutter, die mit ein paar der anderen Frauen für das leibliche Wohl verantwortlich war, sah es gar nicht gern, wenn die Essenszeiten – von wem auch immer – nicht eingehalten wurden. Selbst die älteren Schausteller sollten da schon eine gute Entschuldigung parat haben, wenn sie zum Essen nicht anwesend waren. Da meistens für eventuellen Nachzügler auch kaum etwas übrig blieb, wurde das gemeinsame Speisen während ihrer Überlandfahrten auch von allen respektiert und eingehalten. Nur innerhalb von Ortschaften, wurde von dieser Regelung Abstand genommen.
Trotz der eigentlich triftigen Gründe, die die zwei Brüder für eine Verspätung gehabt hätten, waren sie doch froh, noch rechtzeitig angekommen zu sein. Überhaupt spürten sie eine starke Erleichterung, als sie sich endlich dem Lager näherten und die vertrauten Gesänge hörten.
Wenige Schritte später konnten sie auch endlich die bunten Wagen zwischen den Bäumen hindurch erkennen.
Die acht geschlossenen Wagen standen noch immer, in zwei Reihen am Rand der Lichtung, um anderen Reisenden das Vorbeifahren nicht unnötig zu erschweren. Bunt bemalt und mit allerlei Zierrat behangen, sollte schon allein die Aufmachung zeigen, wer unterwegs war. So sprach sich meist auch schon vor der eigentlichen Ankunft in den nächsten Ortschaften, die bevorstehende Abwechslung unter den Einwohner herum. Nur selten kam es vor, dass sie unterwegs nicht von Reisenden überholt wurden, die die Botschaft mit ins nächste Dorf getragen hätten.
Auf dem freien Platz vor den Wägen brannte ein recht ansehnliches Feuer, um welches herum sich die Gruppe eingefunden hatte.
Es war ein buntes Häuflein unterschiedlichster Gestalten. Da sie Darbietungen von einstudierten Stücken mit meist komödiantischem Inhalt, bis hin zu artistischen Einzelnummern präsentierten, spiegelte sich dies auch innerhalb der Schausteller wieder. Etliche hatten ein recht exzentrisches Aussehen, das ihre Fähigkeiten und Spezialitäten unterstrich. Bei manchen geschah dies, ohne dass sie sich dessen eigentlich bewusst waren und andere wiederum – wie der Zauberer Xarabos – kultivierten ihre Erscheinung und die Wirkung, die sie auf Ihre Umwelt hatten richtiggehend.
Die meisten befanden sich schon recht lange mit Syrill und Meltons Eltern auf Reisen und nur wenige kannten die beiden Brüder nicht schon seit deren jüngsten Sommern. Es war eine verschworene Gemeinschaft, die auch zuletzt immer dichter zusammengewachsen war.
Als die Brüder und Olinga von der Lichtung nur noch wenige Baumreihen trennte, trat ihnen plötzlich, hinter einem der Stämme hervorkommend, eine dunkel gekleidete Gestalt in den Weg.
„Wer spaziert denn da so spät noch im Wald herum?“
Erschrocken zuckten die drei zusammen. Nichts hatte zuvor auf das plötzliche Auftauchen des Mannes hingedeutet. Seine Bewegungen waren elegant und fliesend. Seine Haltung ließ zugleich Anmut und Überheblichkeit erkennen. Ein paar Haare fielen ihm in die Stirn, als er die Reaktion der drei genüsslich auskostete.
„Und wen habt ihr denn da mitgebracht?“, fragte der drahtige Mann mit hämischer Stimme.
Melton zog tief Luft ein und presste dann zischend hervor: „Ich hasse es, wenn du das machst. Kannst Du dich nicht einmal bewegen, wie es normale Leute tun?“
„Du meinst trampelnd und schreiend?“
Der Tonfall klang beiläufig, als hätten sie dieses Gespräch schon des Öfteren geführt. „Nein…, ich glaube nicht.“
Ein breites Grinsen stahl sich nun auf das Gesicht der dunklen Gestalt, was den Mann etwas freundlicher erscheinen ließ.
„Jetzt sagt aber mal, wen ihr da in eurer Begleitung habt?“
Olinga, die sich nun auch wieder von ihrem Schreck erholt hatte, antwortete daraufhin: „Nur eine alte Kräuterfrau, welche die Jungen wieder zurück zu ihrer Familie bringt. – Und es ist äußerst unziemlich über jemanden in dessen Gegenwart zu sprechen, als ob diese Person nicht anwesend wäre oder nicht des Redens mächtig sei. Eine erste Vorstellung eurerseits wäre just richtig gewesen, in solch einem Moment. Lasst Euch das gesagt sein, Jungchen. Beim nächsten Mal werde ich nicht so nachsichtig mit eurem flegelhaften Verhalten sein.“
Daraufhin besah sie ihn noch, mit einem strengen Blick und schritt dann einfach an ihm vorbei, weiter in Richtung Lager.
Syrill und Melton sahen sich daraufhin teils belustigt, teils irritiert an. Eine so gehobene Ausdrucksweise waren die zwei, sonst nur von wenigen der Schausteller und dann auch nur während eines Stückes gewohnt. Bei Olinga wirkte es für die Brüder irgendwie... unpassend.
„Tja Dareck, mach den Mund zu. Sonst nistet noch ein Vogel drin.“ Aus Syrills Stimme war deutlich heraus zu hören, wie sehr ihn der überraschte Gesichtsausdruck des Messerwerfers amüsierte.
„Ich würde sagen, da hat sogar eine ganze Eule Platz.“, ergänzte Melton noch Syrills Äußerung. Dann liefen die beiden schnell hinter der alten Frau her.

Tatsächlich hatte sich schon der größte Teil der Truppe um das Feuer herum versammelt und wartete nur darauf, dass endlich das Schwein, das sich auf einem Spieß darüber drehte, angeschnitten wurde. Eine der Frauen stand daneben und begoss fleißig den Braten. Mit einem großen Messer schnitt sie dann erste Fleischstücke herunter und verteilte diese an die wartende und hungrige Mannschaft.
Olinga sah sich gründlich um und fragte dann: „Wo sind denn eure Eltern? Ich kann sie gar nirgends sehen.“
„Die kommen bestimmt gleich. Sie sind wahrscheinlich noch in unserem Wagen. Vater verpasst nie ein Essen und Mutter schon gleich gar nicht. Sie muss doch sehen, ob auch keiner fehlt.“ Meltons Stimme klang leicht vorwurfsvoll, als er über die bestimmende Art seiner Mutter sprach.
Auch Syrill war aufgefallen, dass die Eltern noch nicht zum Essen erschienen waren. Er fragte sich, was der Anlass dieser untypischen Verzögerung war und hoffte, dass es nicht mit ihrem langen Ausbleiben zu tun hatte.
Bis jetzt hatte noch niemand richtig Notiz von den drei Neuankömmlingen genommen.
„Kommt, wir bringen euch zu ihnen. Ich sollte mich sowieso noch kurz waschen. Wenn Mutter mich so beim Essen sieht, kann ich den morgigen Tag wieder neben dem Wagen herlaufen.“ Dabei sah Melton an sich und seiner, noch immer verschmutzten Kleidung hinunter.
„Ihr müsst zur Strafe laufen, wenn ihr was ausgefressen habt?“, fragte daraufhin die alte Frau.
„Von wegen.“, antwortete Syrill. „Aber wenn Mutter ihn so beim Essen sieht, dann kann er eine ganze Weile nicht mehr sitzen.“
Ein verstehendes Schmunzeln zeigte sich daraufhin auf Olingas Lippen und ein belustigtes Glitzern war in ihren Augen zu erkennen.
Mit ausgestrecktem Arm auf einen der Wagen zeigend, erklärte Melton: „Der letzte Wagen da hinten – das ist der unsrige.“
Kaum hatte Melton seinen Satz beendet, traten wie zur Bestätigung erst ein Mann und dann eine Frau aus dem Wagen. Beide waren wohl in eine hitzige Diskussion verstrickt, da sie noch immer miteinander redeten und wild herum gestikulierten, während sie den Wagen verließen. Erst nach ein paar Schritten nahmen sie die Kinder wahr. Die Blicke der Eltern trafen erst die Jungen und fanden dann das alte Mütterchen. Der Mann und die Frau blieben beide wie angewurzelt stehen und sahen sich dann fassungslos an. Hin und her wechselten die Blicke. Wie um sich noch einmal von dem Gesehenen überzeugen zu müssen, wanderten Ihre Augen dann zurück zu den Kindern und der Frau. Syrill und Melton bemerkten dieses seltsame Schauspiel. Sie konnten jedoch nicht erahnen, was hier vor sich ging.
„Es freut mich außerordentlich, euch nach so langen Jahren wieder zu sehen.“, beendete die Kräuterfrau plötzlich das atemlose Schweigen zwischen den Erwachsenen und trat auf die überraschten Eltern zu.

Weiter geht es hier am Mittwoch.

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