Sonntag, 30. Oktober 2011

2. Kapitel Teil 1 - Weißenburg

Die Sonne wollte schon bald am Horizont verschwinden und der Verkehr der Handelsstraße von Weißenburg war fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Die Straße war den ganzen Tag schon gut bereist und erst zum Abend hin, wurde es etwas ruhiger. Das anstehende Fest zog viele Besucher an und die Stadt würde wohl bald aus allen Nähten platzen.
Kelor von der Stadtwache hing seinen Gedanken nach. Schon längst bei einem Bier im Wirtshaus, statt bei dem Geschehen auf der Straße, träumte er vor sich hin.
Der junge Mann wähnte sich bereits in seiner Lieblingskneipe, wo ihn noch ein Kartenspiel erwarten sollte. Fast konnte er den Duft von Alefs Kartoffeleintopf tatsächlich erschnuppern, auf den er sich schon den ganzen Tag so sehr freute. Diese unbeschreibliche Mischung aus einer Prise Muskat, Majoran und viel wildem Knoblauch. Das Wasser lief ihm bereits im Mund zusammen, als sich seine Vorstellung mit einem unangenehm realen Duft verband. Keine edlen Gewürze, sondern eher eine herbe Mischung aus altem Schweiß und Pferdemist. – Ja, so ließ es sich wohl am besten beschreiben.
Die Nase rümpfend, wandte er sich der vermeintlichen Quelle zu.
Ein kleiner Mann stand vor ihm. Gerade einmal viereinhalb Fuß hoch, von sehr stämmiger Figur mit breitem Kopf und wohl das Ungepflegteste, was Kelor je in seinem Leben gesehen hatte. Dieser Zwerg hatte einen langen, roten Bart, der verfilzt und schmutzig herab hing. Außerdem war er in eine Art Rüstung gekleidet, die über und über mit Stacheln und scharfen Kanten übersät war. Auf seinem Kopf trug er einen alten Helm, mit einem gewaltigen Horn oder Zahn von gut anderthalb Fuß, dessen ehemaliger Besitzer den kleinen Mann um ein vielfaches überragt haben musste. An diversen Stacheln der Rüstung waren kleine Hautfetzen und Haarbüschel zu erkennen und über die restlichen dunklen Flecken wollte Kelor lieber keinen Gedanken verschwenden.
Auf der Schulter des Zwerges ruhte ein gewaltiger Vorschlaghammer und in seiner anderen Hand hielt er einen leeren Wasserschlauch, den er Kelor unter die Nase hielt.
Mit rauer, kehliger Stimme fragte er: „Wo kann ich'n das hier auffüllen?“
Kelor schaute irritiert in Richtung des kleinen Baches, der leise plätschernd an ihnen vorbei floss. Der kleine Mann folgte seinem Blick und schüttelte dann energisch den Kopf, dass seine zotteligen Haare nur so umher flogen.
„Nein, nein, nein! Denk nicht mal dran! Kein ekelhaftes Wasser wird freiwillig diese Kehle hinab rinnen!“
‚Wohl nicht nur die Kehle’, dachte sich Kelor, dessen Wunsch nach einem Bad immer ausgeprägter wurde.
„Meine Suche gilt Schnaps, Bier oder Wein. Und zwar in genau dieser Reihenfolge. Also, was kannst'n empfehlen? Was Gutes zu essen, wär' übrigens auch nich' verkehrt.“
Völlig verdattert und überrumpelt erwiderte Kelor etwas, das ihm noch den ganzen Abend über leid tun sollte.
„Äh, versucht euer Glück doch mal bei Alef, in der Turmgasse.“
„Alef, ja? Nun gut Jungchen, dann hab mal Dank. Wünsch' noch nen ruhigen Abend.“
Und mit diesen Worten stapfte die ungewöhnliche Gestalt an ihm vorbei, durch das Stadttor hindurch und nach Weißenburg hinein.
Noch immer fassungslos schaute Kelor ihm nach. Er hatte ein ungutes Gefühl, was die kommenden Tage betraf – und war das etwa ein Kadaver was da aufgespießt am Rücken des Zwerges hing?
Endgültig den Plan für den heutigen Abend, zu Gunsten eines Besuchs im Badehaus ändernd, wusste er, dass er seinen Vorgesetzten unterrichten sollte.

Weißenburg war die größte Stadt in diesem Landstrich. Reich durch Handel und an Einwohnern, liefen alle großen Landstraßen hier zusammen. Wie jedes Jahr zu dieser Zeit fanden ein großer Markt und ein Fest statt, die eine ganze Woche andauern sollten. Doch in diesem Jahr war das nicht alles. Der Rat der Herrschaftshäuser wollte noch mehr Besucher in die Stadt locken und hatte zu diesem Zweck Spiele ausgerufen, an denen jeder, der es wollte teilnehmen konnte. Es handelte sich um derer unterschiedlichster Art, vom Bogenschießen über Gruppenspäße wie Tauziehen, bis hin zu Kämpfen Mann gegen Mann. Man munkelte, es wäre innerhalb des Rates ein kleiner Zwist entstanden, ob diese Kämpfe auch mit blanken Waffen stattfinden dürften, aber am Ende hatte man sich offensichtlich doch dagegen entschieden. Die Stadt sollte nicht durch Blutvergießen ihren Ruf vergrößern. Stattdessen hatte man sich auf wertvolle Trophäen geeinigt, die die jeweiligen Sieger erwarteten. Nur ein kleines Startgeld war zuvor zu entrichten. Doch trotz dessen, wurde der Meldestelle seit Tagen die Tür eingerannt.

„Es genügt für heute. Kommt morgen wieder. Bei Sonnenuntergang schließen wir.“ Der Raum war noch mit gut einem Dutzend Wettkämpfern gefüllt und es war anzunehmen, dass noch immer welche kommen würden, wenn jetzt nicht bald der Schlüssel gedreht wurde. Es war seit Tagen immer dasselbe. Zum Abend hin, wenn genügend Alkohol die letzten Zweifel beseitigt hatte, nahm die Zahl der Meldungen plötzlich zu. Meister Berelon, der damit betraut war, hatte sich schon des Öfteren gefragt, wie viele von diesen Spätmeldungen tatsächlich auch am Tag ihres Wettkampfes erscheinen würden. Er tippte auf gerade Mal die Hälfte. Ihm sollte es recht sein, konnte er doch so, noch nachträglich etwas an den Büchern feilen und die ein oder andere Startgebühr, in sein eigenes Beutelchen wandern lassen. Für heute jedoch reichte es ihm tatsächlich.
„Nein, nichts mehr. Morgen früh könnt ihr mich wieder hier antreffen.“
Resigniert zuckte der junge Bursche vor ihm mit den Achseln und drehte sich um. Ein starker Geruch nach billigem Bier lag noch in der Luft, als er sich entfernte. Berelon klappte sein Buch zu und ohne aufzusehen rief er laut: „Das gilt auch für den Rest. Morgen wieder.“
Während er sorgfältig sein Tintenfass verschloss, konnte er vernehmen, wie sich unter missmutigem Gemurmel der Raum leerte. Es schien sich herum gesprochen zu haben, dass es bisher noch keine Ausnahmen gegeben hatte und sein Wort endgültig war. Er holte aus einer der Schubladen seines Schreibtisches den Amtsstubenschlüssel hervor und wollte gerade aufstehen, als lautlos eine Gestalt vor ihn trat.
„Ich bin aberrr jetzt hierrr.“
Der alte Mann sah überrascht und verärgert auf. Doch seine Erwiderung blieb ihm im Halse stecken.
Vor ihm stand ein Wesen, wie er es zuvor noch nie gesehen hatte. Über sechs Fuß groß und in Pelz gehüllt. Nein, nicht in Pelz gehüllt sondern tatsächlich über und über mit Haaren bewachsen. Eine Hand, die eher einer Pfote glich, griff nach dem Buch vor ihm und schlug es wieder auf.
„Trrragt mich jetzt ein!“
Das Wesen ging zwar auf zwei Beinen, doch ähnelte es mehr einer gewaltigen Katze. Muskulös und sehnig unter dem rötlichen Pelz, der mit schmalen schwarzen Streifen durchsetzt war. Selbst der Kopf hatte so gut wie nichts Menschliches an sich, sondern glich einem wilden Raubtier. Außer einer Art Lendenschurz trug das Katzenwesen nur einen ledernen Brustpanzer, der aussah, als hätte man einen langen Nietengürtel immer wieder um den Oberkörper geschlungen.
Das Wesen beugte sich etwas vor und schob mit einer hervorschnellenden Kralle aus seiner Pfote, das gerade geschlossene Tintenfass auf Berelon zu.
„Mein Name ist Shirazz.“

Wie gewohnt, findet ihr den nächsten Teil am Mittwoch hier.

Mittwoch, 26. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 14 - Glutaugen

Bei dieser Frage verschluckte sich Syrill und auch Melton ließ überrascht den Löffel sinken. Es dauerte einen Moment, ehe sich Syrill wieder im Griff hatte und er griff gierig nach seinem Becher mit Wasser.
„Alles in Ordnung Junge?“, fragte Margot besorgt. „Margit, hol doch noch mal Wasser aus dem Eimer, der Junge ist ja ganz rot im Gesicht.“
„Nein, nein. Es geht schon wieder. Danke. Hatte nur den Mund zu voll.“, krächzte Syrill angestrengt. Um nichts wollte er zulassen, dass das soeben begonnene Gesprächsthema wechselte.
Die Erwachsenen sahen ihn noch einen Moment an, doch als er wieder zu seinem Löffel griff, als ob nichts gewesen sei, kam das Gespräch wieder in Gang. Scheinbar war auch Hastor an diesem Thema interessiert.
„Was fragtet ihr gerade? Von was für Glutaugen spracht ihr?“
„Nun, wir nennen sie die Glutaugen. Sicher nennt man sie an anderen Orten anders. Der wahre Name ist uns jedoch unbekannt. Bisher sahen wir sie immer einzeln. Sie sind alle ähnlich verhüllt gekleidet, als ob sie zu einem Glaubensorden gehören und ihre Augen leuchten wie glühender Stahl, während ihre Haut ungesund grau erscheint. Scheinbar tauchen sie auch an anderen Orten auf, doch meistens bleiben sie nicht lange.“
„Und was machen sie, wenn ihr sie seht?“, fragte Hastor weiter. Syrill war entsetzt, dass es mehr von diesen Wesen geben sollte und dass diese auch noch so verbreitet schienen. Vor letzter Nacht hatte er nicht einmal gewusst, dass es diese Kreaturen überhaupt gab.
„Nun, nicht viel. Entweder sie ziehen nur durch den Ort, oder sie stehen schweigend an irgendeiner Weggabelung. So, als wüssten sie nicht, wohin sie sich wenden sollen, oder als ob sie auf etwas warteten. Jedem, der sich ihnen näherte und sie ansprechen wollte, machten sie unmissverständlich mit funkelnden Augen klar, dass er es besser lassen sollte. – Und das Funkeln meine ich hierbei wortwörtlich.“
Melton sah seinen Vater an und wartete gespannt, was dieser nun erwiderte. Würde er von den gestrigen Ereignissen berichten?
Doch er tat es nicht. „Nein Juron, von diesen Geschöpfen haben wir in den übrigen Ländereien unserer Reise nichts gehört, geschweige denn gesehen. Da wir allerdings viel im Süden waren, kommen sie vielleicht aus dem Norden.“
„Nun, das könnte natürlich sein!“, und mit diesen Worten verließen sie das Thema, um wieder – zumindest, was die Jungen betraf – über weit Uninteressanteres zu sprechen. Der Abend zog sich noch ein ganzes Stück dahin. Jurons Wissbegierde schien kaum zu stillen und irgendwann gab Helmine mit einem deutlichen und lauten Gähnen zu verstehen, dass es Zeit zum Aufbruch war.
Nachdem man sich verabschiedet hatte, ging es schnellen Schrittes zurück zum Lager. Dort war schon Ruhe eingekehrt, scheinbar benötigte jeder etwas Zeit für sich, um den frischen Verlust ihres Kameraden zu verarbeiten.
„Warum hast du gelogen?“, fragte Melton, kaum dass sie ihren Wagen betreten hatten.
Er wollte endlich verstehen, was hier vor sich ging.
„Hab ich das?“, antwortete Hastor mit einer hoch gezogenen Augenbraue.
„Nein, hast du nicht.“, mischte sich Syrill ein. Sie hatten tatsächlich in keiner der bisherigen Ländereien von diesen Glutaugen gehört, oder etwas gesehen. Syrill war diese Feinheit sofort aufgefallen. „Aber Mel wollte sicherlich auf was anderes hinaus.“
„Das denk ich mir. Was meinst du selbst, Melton? Warum war ich nicht offen zu unseren Gastgebern?“
Melton zuckte mit den Achseln. „Du traust ihnen nicht?“
„Ganz genau. Wenn mich bisher etwas vor Schwierigkeiten bewahrt hat, dann, dass ich mit fanatisch Gläubigen vorsichtig bin. Du kannst nie wissen, was in so jemandem wirklich vorgeht. Merkt euch das, alle beide!“
Melton und Syrill nickten.

Das weitere Gespräch dauerte nicht mehr lange. Zu oft hatte man am Tag die Ereignisse immer wieder durchgekaut und der heutige Abend hatte fast nur neue Fragen aufgeworfen. Helmine drängte wieder sehr bestimmt, endlich die Lampe zu löschen und zu schlafen. Doch trotz der tröstlichen Dunkelheit, hingen alle noch alleine ihren Gedanken nach und es dauerte sehr lange, bis auch endlich Syrill wieder als Letzter einschlief.

Die Gruppe blieb noch einen Tag. Willy hatte sich dazu entschlossen, seinen Bruder hier bestatten zu lassen und die Trauerfeier fand noch am selben Nachmittag statt. Es war ein ganz eigener Ritus, stark auf den Gott der Erde ausgerichtet, doch sehr ergreifend. Eingewickelt in Leinentücher und zuvor rituell gewaschen, wurde Chester etwas außerhalb des Dorfes begraben. Die Gruppe war überrascht, wie viele der Dorfbewohner sich von ihrem Tagewerk abhalten ließen und stattdessen an der Trauerfeier teilnahmen.
Nach Weißenburg brachen sie am nächsten Morgen auf.

Heute ein etwas kürzerer Teil, da das erste Kapitel hier endet. Das zweite Kapitel beginnt am Wochenende.

Sonntag, 23. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 13 - Abendessen mit Juron

Nachdem Syrill einen vollen Eimer aus dem Brunnen in der Ortsmitte empor gezogen hatte, wuschen sich die Brüder stumm den Staub der trockenen Straße von ihrer Haut. Beiden stand nicht der Sinn danach, sich wie sonst gegenseitig nass zu spritzen.
„Braucht ihr noch lange?“
Syrill drehte sich um. Er hatte gerade den Kopf in den Eimer gesteckt, als sich ihm von hinten jemand unbemerkt genähert hatte. Sich das Wasser aus den Augen reibend, konnte er ein junges Mädchen erkennen, das ebenfalls mit einem Eimer in der Hand, hinter ihnen stand. Das Mädchen schien etwas älter zu sein. Ein, zwei Sommer vielleicht und wirkte ungeduldig. Sie trug ein einfaches, braunes Kleid und hatte lange, rote Haare, die zu einem Zopf geflochten waren.
Statt einer Antwort tauchte Syrill seinen Kopf erneut in den Eimer des Brunnens.
„He, ich hab was gefragt.“
„Wir sind gleich soweit.“, antwortete Melton.
Nachdem Syrill den Kopf erneut, aus dem bereits schmutzigen Wasser gezogen hatte, entgegnete er trocken: „Der Brunnen gehört nun ganz dir.“ Er trat einen Schritt zurück und schüttelte sich, dass die Tropfen aus seinem Haar nur so spritzten.
Das Mädchen beschaute sich die Brühe in dem Eimer und verzog angewidert die Mundwinkel.
„Das hättest du wenigstens ausleeren können. Andere wollen hieraus noch trinken.“
„Kannst du doch. Das ist nur etwas von eurer feinen Erde hier.“
Melton war überrascht über Syrills unfreundliche Worte. Zu Fremden sprach sein Bruder selten so.
Wortlos nahm das Mädchen den halbvollen Eimer und leerte ihn den Jungen vor die Füße, wo das Wasser sofort, von dem staubigen Boden aufgesogen wurde. Danach ließ sie den Kübel an dem langen Seil tief zum Grund hinab, um ihn danach ächzend wieder herauf zu ziehen.
„Warte, lass mich das machen.“, sprang Melton ihr zu Hilfe, doch sie lehnte ruppig ab.
„Lass! Ich kann das alleine. Sonst brauch ich auch niemanden.“
Mit erhobenen Händen trat Melton einen Schritt zurück. „Wie du meinst, ich wollte nur helfen.“
„Mel, vergiss es. Manchen kann man nicht helfen.“
Syrill einen bösen Blick zuwerfend, füllte das rothaarige Mädchen den Inhalt in den Eimer, den sie mitgebracht hatte und schleppte diesen dann, ohne ein weiteres Wort hinfort.
Kopfschüttelnd machten sich auch die beiden Brüder auf den Weg zurück zum Lager.
Das Dorf war wirklich klein und bestand nur aus wenigen Häusern. Die meisten Gebäude waren aus einfachen Mitteln erbaut, wie sie hier in der Umgebung vorkamen. Viel Holz und wenig Steine. Die meisten Dächer waren mit dicken Lagen Schilf gedeckt, die zu engen Bündeln geschnürt waren. Ton und Lehm waren hier selten.
Als sie die Wagen vor dem Dorf erreichten, hatte sich gerade die Truppe versammelt, um gemeinsam ihr Abendbrot einzunehmen. Nach dem mehr als üppigen Mahl des letzten Abends, fiel es dieses Mal wieder so karg wie üblich auf Reisen aus. Die Frauen hatten einen Eintopf aus Trockenfleisch und verschiedenem haltbaren Wurzelgemüse zubereitet. Es war in der Hitze des Sommers immer schwierig, für die Frische von Lebensmitteln zu sorgen.
Hastor und Helmine erwarteten die Jungen bereits. Sie standen gerade bei Khalid und seiner Gefährtin Chalise. Die beiden hatten eine Schlangennummer und waren begnadete Musiker. Wenn der dunkelhaarige Khalid die bildschöne Chalise auf seiner Maholzflöte begleitete und sie ihre zarte Stimme zu ihren Bewegungen erklingen ließ, sorgte dies regelmäßig für angehaltenen Atem bei den Männern und neidvolle Blicke bei den Frauen. Die fast schwarze Haut und die mandelförmigen Augen des Paares taten durch ihre Exotik das Übrige. In den Gegenden, in denen die Gruppe, seit nun etwa zwei Jahren unterwegs war, gab es nicht viele Menschen von dieser Hautfarbe.
Melton hatte sich schon öfters gefragt, wie die Reaktionen hier wohl wären, wenn Lumid noch bei ihnen wäre. Seine schuppige Echsenhaut und die lange, ständig zischelnde Zunge wären bestimmt sehr interessant gewesen. ‚Schade, dass es der Echse in dieser Gegend zu viele kalte Tage gab’, dachte sich Melton wieder einmal.
„Seid ihr soweit?“, fragte Hastor seine beiden Söhne. Die beiden nickten. „Gut.“ Dann wandte er sich an Khalid. „Du weißt, wo wir sind. Wenn etwas sein sollte, dann holt uns. Und schaut ein wenig nach Willy. Ich weiß, dass zwar gerade Dareck und Marius bei ihm sind, aber ein wenig andere Gesellschaft, kann sicher nicht schaden.“
Khalid und Chalise nickten.
Anschließend machte sich Hastors Familie auf den Weg zu Jurons Haus. Dort angekommen, wurden sie auch schon erwartet. Juron führte sie sogleich in die große Küche, die auch zugleich als Speiseraum diente. Eine Frau stand noch am Herd und würzte gerade einen letzten Topf, als sie den Raum betraten. Ein gut gedeckter Tisch mit allerlei dampfenden Feldfrüchten, verströmte einen aromatischen Duft. Jedes Gemüse war mit einer anderen Soße übergossen und alles sah überaus köstlich aus.
„Dies ist mein Weib Margot. Sie hat uns Aschtars köstliche Gaben zubereitet.“ Die Frau, die ein einfaches Gewand trug, wischte sich schnell die Hände an der Schürze ab, die sie darüber umgebunden hatte. Dann verschränkte sie die Arme vor der Brust und verneigte sich leicht, wie es bei den Frauen in dieser Gegend zur Begrüßung üblich war. Sie hatte ein ebenso freundliches, wie auch vom Wetter und der Arbeit auf dem Feld gegerbtes Gesicht, wie ihr Mann. Die lederne Haut und die tiefen Furchen, machten es sehr schwierig ihr Alter zu bestimmen, doch war sie wohl ein paar Jahre jünger als Juron. Nachdem auch Hastor seine Familie vorgestellt hatte, ging plötzlich eine Tür hinter ihnen auf.
„Ach, da kommt auch schon unsere Tochter mit dem Wein. Komm her Liebes und begrüß unsere Gäste.“ Das Mädchen trug ein braunes Kleid und hatte lange rote Haare, die zu einem Zopf geflochten waren. In den Händen hielt sie einen großen hölzernen Krug. Syrill und Melton sahen sich überrascht an. Es war das Mädchen vom Brunnen.
Schnell stellte sie den Wein auf dem Tisch ab und machte es dann der Geste ihrer Mutter nach, indem sie die Arme verschränkte und sich leicht verbeugte. Allerdings zeigten ihre Hände dabei zum Boden und lagen nicht vor der Brust. Ein Zeichen, dass sie noch unvermählt war. Als der Blick des Mädchens auf Syrill und Melton fiel, verzog sich leicht ihr Gesicht und ihre Augen blitzten auf. Doch sie hatte ihre Überraschung schnell wieder im Griff.
„Das ist Margit, unser Sonnenschein.“, stellte Juron seine Tochter vor.
Syrill entfuhr ein unterdrücktes Schnauben, als er ‚Sonnenschein’ vernahm, was ihm einen tadelnden Blick von seiner Mutter und einen Rempler von Melton einbrachte. Doch Juron und seine Frau hatten offenbar nichts bemerkt. Nur das junge Mädchen funkelte ihn weiter böse an, während ihr Vater erklärte: „Dies sind unsere Gäste von der Wandergruppe, Margit. Hastor mit seiner Frau Helmine und ihre beiden Söhne Melton und Syrill.“
Nachdem endlich alle Formalitäten erledigt waren, setzten sich die beiden Familien an den Tisch. Das Geschirr, wie auch der größte Teil des Raums bestand aus einfachem Holz, das jedoch mit schönen Schnitzereien verziert war.
„Habt noch einmal Dank für eure Einladung, Juron.“, sprach Hastor nachdem Juron einen Tischsegen zu Ehren Aschtar aufgesagt und sich alle von den Speisen genommen hatten.
„Nun, wie schon erwähnt, geschah dies mit einem gewissen Eigennutz.“, entgegnete dieser zwischen zwei Bissen. „Erzählt uns von euren Reisen und was auf Aschtars Feldern sonst so vor sich geht.“
Hastor tat ihm also diesen Gefallen und berichtete, wo sie in der letzten Zeit überall gewesen waren und wie in den jeweiligen Städten die Lage war. Juron hörte aufmerksam zu und stellte auch immer wieder Fragen zu der dortigen Verehrung ihres Gottes und anderen kulturellen Dingen. Er war scheinbar wirklich sehr interessiert, was überall vor sich ging und kam nach eigenen Aussagen nur wenig herum. Dies war für einen Bauer auch nicht sonderlich verwunderlich, nur von der ständigen Erwähnung des Gottes der Erde und Natur war Hastor irritiert. Er wusste zwar, dass alle Bauern Aschtar verehrten, aber in dieser Intensität, hatte er es noch nie erlebt.
Auch gaben sich die meisten Bauern nicht nur mit einem Gott zufrieden. Meistens ging dies mit der Ergebenheit für Heavon einher, dem der Himmel und das Wetter untertan waren.
Syrill war gespannt, ob sein Vater auch von den Vorkommnissen der letzten Nacht erzählen würde. Dem restlichen Gespräch folgte er nur mit einem Ohr und genoss stattdessen das delikate Essen, bis…
„Und in wie weit sind in den übrigen Provinzen die Glutaugen unterwegs?“

Weiter geht es hier am Mittwoch.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 12 - Zwischenhalt

Die Gruppe hatte begonnen ihr Lager abzuschlagen. Die Pferde waren versorgt und bereits vor die Wagen gespannt. Alles wartete darauf, dass Hastor das Kommando zur Abfahrt gab, doch dieser saß noch immer mit Dareck und Marius zusammen.
Marius wusste nicht mehr viel, was mit ihm geschehen war. Alles, was er noch zusammenbrachte, waren die Finsternis, die glühenden Augen und dass er auf einmal in Flammen stand. Zu keiner Bewegung fähig und hilflos gewesen, hatte er die ganzen Qualen erlebt, wie sich ihm die Haut vom Fleisch schälte. Sogar den sengenden Geruch des Rauchs und die Atemlosigkeit, durch die ihn umhüllenden Flammen hatten sich lebhaft in seinen Geist eingebrannt. Keiner wusste sich zu erklären, wie es geschehen konnte, dass auf seiner Haut tatsächlich Brandblasen zu finden waren. Am Schlimmsten waren seine Handgelenke betroffen, die bereits zuvor übel zugerichtet waren. Doch nun konnte er nur unter starken Schmerzen seine Hände bewegen.
Helmine befand sich derzeit bei Chester, bei dem noch keine Besserung festzustellen war. Schlimmes Fieber hatte in der Nacht Besitz von ihm ergriffen.
Melton und Syrill waren bei ihr und halfen mit nassen Bandagen die Temperatur des kleinen Mannes zu senken.
Schließlich brachen sie auf. Die nächste Siedlung lag etwa eine Tagesreise entfernt und man hoffte, dort einen Heiler zu finden. Doch trotz zügiger Fahrt und ohne weitere Zwischenfälle war es für Chester zu spät. Er erlag am späten Nachmittag seinen Verletzungen. Sein älterer Bruder Willy und auch die restliche Gruppe waren schwer getroffen. Alle hatten den lustigen Mann sehr gemocht. Chester war zuvor nicht ein einziges Mal aus seinem tiefen Koma erwacht.

„Wie geht es Willy?“, fragte Hastor, als sie am Abend, ein kleines Dörfchen erreichten, dessen Namen sie nicht einmal kannten. Den Wald hatten sie noch nicht lange hinter sich gelassen, und ohne ihr übliches Getöse, mit dem sie sich normalerweise in den Ortschaften ankündigten, hatten sie sich einfach am Rand der Siedlung eine geeignete Stelle für ihr Lager gesucht. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Einwohner auftauchten. Hauptsächlich Kinder, aber auch Ältere begutachteten die Ankömmlinge.
„Nicht gut.“, antwortete ihm Dareck, der neben Hastor kniete und gerade Holzkeile unter die Räder seines Wagens schob, um ihn an dem leicht abschüssigen Platz zu sichern. Vorsichtig stand er auf. Er wollte sein Bein noch etwas schonen, doch eigentlich hatte er keine Beschwerden mehr. „Der Punkt ist auch einfach, dass wir nicht einmal wirklich den Grund wissen, weshalb Chester sterben musste. Einen versuchten Diebstahl können wir wohl ausschließen und ehrlich gesagt, habe ich nicht einmal eine Vermutung, über die wahren Gründe.“
„Du vergisst Olinga, Dareck.“
„Nein, tue ich nicht. Aber die Frage ist doch, was jemand so Gefährliches von einem alten Kräuterweib, die allein im Wald lebt, will.“
Hastor wollte gerade etwas entgegnen, als ein älterer Mann zu ihnen trat.
„Ich grüße euch und willkommen in unserem kleinen Dorf.“ Der Mann hatte ein freundliches Gesicht und trug einfache Kleidung, wie sie auf dem Feld üblich war. „Ihr seid Hastor? Ein Junge sagte mir, dass dies eure Gruppe sei.“
„Das ist richtig. Ich bin Hastor und dies ist Meister Hastors fahrendes Theater. Ihr seid…?“ Hastor hatte sich ihm zugewandt und leicht verbeugt.
„Mein Name ist Juron. Ich stehe unserem kleinen Rat vor, den wir hier haben und in dieser Funktion möchte ich euch begrüßen.“ Auch er verbeugte sich leicht.
„Nun denn, Juron. Ich hoffe, dass euch unser kleiner Aufenthalt hier nicht stört. Wir sind nur auf der Durchreise und auf dem Weg nach Weißenburg.“
Weißenburg war die nächstgrößere Stadt und die Gruppe hatte sich dort ein paar Vorstellungen und spendierfreudiges Publikum mit dicken Geldbörsen erhofft.
„Nein, natürlich nicht. Aber sagt, wollt ihr uns nicht auch ein wenig Unterhaltung bieten? Es waren schon länger keine Spielleute mehr hier.“
Hastor war unschlüssig und sah nachdenklich Dareck an. Er wusste nicht, ob er eine so baldige Vorstellung seinen Leuten zumuten wollte, nach den letzten Ereignissen. Doch der Messerwerfer zuckte nur mit den Schulter und machte ein ebenso ratloses Gesicht.
„Ihr müsst wissen Juron, dass wir heute einen schweren Verlust zu beklagen haben. Einer unserer Männer ist auf dem Weg hierher verstorben und noch nicht einmal bestattet.“
„Oh, das tut mir natürlich leid. Wollt ihr dies vielleicht hier tun? Wir haben einen Priester Aschtars unter uns, der sicherlich gerne die Trauerfeier abhalten würde. Ihr seid doch Aschtar wohl gesonnen, oder?“
Für Hastor war einer der vier Götter, die hier öffentlich verehrt wurden so gut wie der andere. Er hatte sich nie festgelegt und betete in der Regel zu dem, der gerade der Situation angemessen war – sofern er überhaupt betete. Doch gab es in der Zwischenzeit immer mehr Menschen, die sich nur noch einem der vier Brüder verschrieben und von den anderen nichts mehr wissen wollten. Es wunderte Hastor nicht, dass man hier Aschtar zugetan war. Aschtar war unter anderem der Gott der Erde und daher der Schutzpatron der Bauern.
„Natürlich und habt Dank für dieses Angebot. Aber diese Entscheidung obliegt nicht mir, sondern dem Bruder des Verstorbenen. Ich werde mit ihm darüber sprechen.“
„Tut das und dann kommt später in mein Haus zum Essen. Ihr und eure Familie seid hiermit herzlich eingeladen. Es interessiert mich, was sonst so im Lande vor sich geht und ihr könnt sicherlich Einiges berichten.“
Hastor nahm an und nachdem Juron ihm den Weg zu seinem Haus beschrieben und sich verabschiedete hatte, berichtete Hastor seiner Frau und natürlich auch Willy von dem Gespräch.

„Nein, ihr kommt beide mit!“ Hastor duldete keine Widerrede, als er mit seinen Söhnen sprach. „Wir wurden als Familie eingeladen und da habt ihr diesmal beide dabei zu sein. Geht euch waschen. Im Dorf ist ein Brunnen und lasst es euch nicht einfallen wieder zu trödeln.“
Syrill und Melton waren nicht begeistert. Sie mochten solch förmliche Abende überhaupt nicht. Es geschah des Öfteren, dass Hastor als Anführer der Gruppe, die ja immerhin auch seinen Namen trug, zu besonderen Anlässen eingeladen wurde. Meist war dies mit Geschäften verbunden, oder daraus entstanden, da das Theater auch immer wieder fest gebucht wurde. Sie spielten zwar die meiste Zeit auf öffentlichen Märkten, doch der Ruf der Gruppe war gut und so riefen sie auch hin und wieder gut Betuchte und selbst Adlige zu ihren Festen.
Es kam wirklich nicht oft vor, dass Syrill und Melton bei solch einem Treffen zugegen waren, doch machte Syrill trotzdem, nachdem sie ein paar Schritte vom Wagen entfernt waren, seinem Unmut Luft. „Mist. Wieder so ein blöder Abend am Tisch von irgend so einem eingebildeten Fatzke.“
„Ach jetzt hab dich nicht so. Das hier ist ein kleines Dorf und sicher nicht mit dem dicken Kahlkopf zu vergleichen.“
Melton spielte auf einen sehr reichen Tuchhändler aus Raalfurt an, bei dem sie schon mehrmals zu größeren Festen aufgespielt hatten. Seit der Hochzeit des dicken Mannes, mit einer noch dickeren Dame des niederen verarmten Adels, lud er stets Hastor mitsamt Familie zu sich ein, wenn sie wieder in der Stadt waren. Hastor hatte mit einem kleinen Mittelchen, das er extra mitbrachte für eine gelungene Hochzeitsnacht gesorgt. Nach dem vielen Wein, der in dieser Nacht floss, war das Pulver auch bitter nötig. Viele böse Scherze wurden an diesem Abend von der Hochzeitsgesellschaft darüber gemacht, ob der frisch gebackene Ehemann sich die Braut erst noch schön trinken musste. Noch bösartigere Scherzbolde sprachen gar davon, dass dem Ehemann der junge Priester, welcher die Trauung vollzog, ohnehin lieber gewesen wäre. Nun ja, eine gewisse Neigung für hübsche Männer war dem Händler tatsächlich nicht abzusprechen. Doch von all dem wussten die Jungen natürlich nichts.
Trotz der aufmunternden Worte von seinen Bruder, war Syrills Begeisterung für den bevorstehenden Abend noch immer mehr als gedämpft. Er hoffte, dass das Essen schnell vorbei sein würde und er sich danach etwas zurückziehen konnte. Seine Gedanken waren noch immer voller Trauer bei Chester.

Den nächsten Teil findet ihr am Wochenende hier.

Sonntag, 16. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 11 - Ein tödlicher Traum

„Also, was war hier los?“ Hastors Stimme wirkte ruhig, doch war ihm die Anspannung deutlich anzusehen. Sie befanden sich in ihrem Wagen, um die jüngsten Ereignisse der Nacht zu besprechen. Diesmal waren auch die beiden Jungen anwesend. Marius, der in der Zwischenzeit zwei dicke Verbände mit Wundsalbe, um seine Handgelenke hatte, lehnte an der Wand. Neben ihm saß Dareck auf einem Schemel. Helmine befand sich derzeit mit Olinga bei Chester in dessen Wagen. Er war noch immer nicht bei Bewusstsein und es stand schlecht um den kleinen Mann.
„Syrill, was hast du eigentlich dort draußen zu suchen gehabt?“
„Ihn trifft keine Schuld.“, mischte sich Dareck ein. „Der Junge konnte nur nicht schlafen und ich überredete ihn, mit mir zusammen Chester einen Streich zu spielen. Wer konnte ahnen, dass das schon jemand anderes erledigt hatte?“ Dabei verzog sich Darecks Gesicht zu einem gequälten Grinsen. Man sah ihm die tatsächliche Sorge um den verletzten Freund deutlich an.
So berichteten die drei also das, was sie zu erzählen hatten.
„Zum Glück hat mich Dareck zum loslassen bewegt.“, schloss gerade Marius seine Erzählung. „Sonst wäre auch ich in Flammen aufgegangen.“ Dabei hob er, zur Verdeutlichung seine bandagierten Arme. Für einen Moment hingen alle still, ihren Gedanken nach.
„Wieso eigentlich?“, fragte da plötzlich Syrill.
„Wieso? Soll ich die Bänder noch mal abmachen, Junge? Die Flammen waren echt, verdammt!“
„Das meine ich doch nicht.“ Dann wandte sich der Junge zu dem Messerwerfer. „Woher hast du gewusst was passieren würde, Dareck? Bist du so einem Monster schon einmal begegnet?“
Nun richteten sich alle anwesenden Augen auf den dunkelhaarigen Mann auf dem Schemel, doch Dareck schüttelte den Kopf.
„Nein, Olinga, sie sagte es mir. Ich war noch keine drei Atemzüge bei dem Gerangel am Boden, da stand sie plötzlich neben mir und sagte, dass ich Marius zum loslassen bewegen müsse oder dass er sonst stirbt. Dabei wurden auch diese verfluchten Augen immer heller. Sie strahlten richtig. Da wusste ich, dass es besser war, ihren Worten Glauben zu schenken.“

Es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis endlich Helmine in den Wagen kam, doch war sie allein.
„Wo ist Olinga?“, erkundigte sich Hastor. Auch die anderen befanden sich noch im Wagen.
„Sie ist zu Milla und wollte zu Bett gehen. Der Abend hat sie sehr angestrengt.“ Auch Helmine wirkte verausgabt und müde.
„Wie geht es Chester?“ Die Besorgnis in Darecks Stimme war klar zu vernehmen.
„Noch immer nicht gut. Wir wissen nicht, wie tief er verletzt wurde. Olinga hat seine Wunde mit verschiedenen Pflanzen behandelt, doch er hat noch immer nicht das Bewusstsein erlangt.“
Hastor dachte einen Moment nach, dann sagte er: „Marius, geh sie holen. Ich will die Ereignisse sofort besprechen!“
„Jetzt?“, entgegnete Helmine darauf scharf. „Es ist spät und wir brauchen alle unseren Schlaf. Schau dir die Kinder an, Mann!“
Doch Hastor blieb hart: „Ja, jetzt! Marius, geh!“
Während Marius den Wagen verließ, war Helmine deutlich ihre Entrüstung anzusehen.
„Schau mich nicht so an, Weib! Olinga scheint mehr über die heutigen Vorkommnisse zu wissen, als sie uns gesagt hat.“
Dann erklärte Dareck, wie Olinga ihn bei dem Kampf gewarnt hatte. Wieder verbrachten sie eine kleine Weile mit Warten, bis Marius endlich wieder den Wagen betrat. „Sie ist weg.“
„Was?“, entfuhr es Hastor.
„Sie ist nicht in Millas Wagen und sei dort auch, nachdem sie die Kräuter für Chester geholt hatte, nicht mehr gewesen.“
„Verdammt. Was ist hier los? Das wird ja alles immer besser.“ Hastor war ratlos.

Sie entschieden schließlich, das Lager und die unmittelbare Umgebung nach Olinga abzusuchen. Alle, die noch wach lagen beteiligten sich hieran, doch Olinga blieb verschwunden.
Nachdem neue Wachen eingeteilt, aber ohne Licht in die geschehenen Ereignisse gebracht zu haben, kehrte endlich wieder Ruhe in das Lager ein.

Es war finster um Marius. Er lag da und versuchte zu ergründen wo er sich befand. Träumte er? Dies war nicht sein Bett in dem Wagen, den er sich mit Dareck teilte. Es gab kein Mondlicht, das normalerweise durch das kleine Fenster auf sein Kissen schien, nur absolute Dunkelheit. Er wollte sich aufrichten, sich umschauen, doch es gelang ihm nicht. Was war geschehen? War er tot? Er spürte seine Handgelenke. Sie pochten und schmerzten ihn. Er lauschte, jedoch ohne Ergebnis. Kein Schnarchen von Dareck. Keine Geräusche des Waldes, die er durch das offene Fenster beim Einschlafen noch vernommen hatte. Er fühlte sich unbehaglich und unsicher. Marius war kein ängstlicher Mann, doch im Moment fühlte er sich hilflos. Er konnte nicht einmal den Kopf drehen, um sich einen Überblick der Umgebung zu verschaffen.
Plötzlich sah er ein schwaches rotes Leuchten weit über ihm. Das Leuchten wurde heller. Oder kam es nur näher? Er konnte auf einmal die Quelle ausmachen. Nicht eine, sondern gleich zwei. Zwei rot leuchtende Augen, die sich ihm näherten. Er wollte rufen, doch kein Laut verließ seine Kehle…


Dareck erwachte früh am nächsten Morgen. Er hatte schlecht geschlafen und auch noch eine ganze Weile wach auf seiner Matratze gelegen. Marius hatte bereits tief und ruhig geatmet, was normalerweise ein untrügliches Zeichen dafür war, dass er schlief, als auch endlich Dareck seinen Schlaf fand.
Nun richtete er sich auf und streckte sich. Sein Knie tat ihm noch immer etwas weh, doch war die Schwellung zurückgegangen. Syrill hatte ihn wirklich gut erwischt, dachte er.
„Wach auf, du Ochse. Du hast lange genug geschlafen.“
Doch von Marius kam keine Regung, während sich Dareck sein dunkles Wams überzog. Nachdem Dareck seine Stiefel angezogen hatte, trat er fest gegen Marius Schlafkoje.
„He Marius, es wird Zeit. Wir müssen die Tiere versorgen, auf dass wir endlich von hier weg kommen.“
Doch noch immer kam keine Reaktion. Dareck, der den tiefen Schlaf von Marius gewohnt war, griff nach einem halbvollen Krug Wasser, der neben seiner eigenen Koje stand und schüttete dieses kurzerhand Marius ins Gesicht. Die Erwartung von seinem prustenden und sich wie immer, wenn dies geschah, aufregenden Gefährten wurde nicht erfüllt.
„Marius?“ Dareck war nun unwohl zumute. Er rüttelte an den Schultern des kräftigen Mannes und tastete anschließend voller Sorge nach dessen Herzschlag. Erleichtert konnte er diesen spüren. Auch der gewaltige Brustkorb des regungslosen Mannes hob und senkte sich leicht unter seinem Atem, wie er nun feststellte. Doch als Dareck Marius Lider hochzog, konnte er nur das Weiße in dessen Augen erkennen.
„Bei Aschtars wachem Geist. Was geht hier nur vor sich?“, murmelte Dareck vor sich hin, wie er so über seinen Freund gebeugt dastand. „Haben sich denn alle Höllen gegen uns verschworen?“
Er suchte eine Reaktion in Marius Gesicht. Irgendetwas, das ihm einen Hinweis auf dessen Zustand geben könnte. Dareck hatte schon Menschen im Delirium und Ähnlichem gesehen, doch Marius wirkte mehr tot, denn lebendig.
Unerwartet begannen Marius Augen wild zu flackern. Die Pupillen zuckten wie im Wahn hin und her und plötzlich fing Marius an zu schreien. Erschrocken wich Dareck zurück. Der Schrei war laut und schien in tiefstem Entsetzen seinen Ursprung zu haben. Schlagartig richtete der große Mann sich auf. Den Blick nun starr gerade aus und noch immer aus tiefster Kehle schreiend. Seine Haut war urplötzlich gerötet, als wenn er zu lange in der Sonne gewesen wäre.
Dann verstummte er.
Dareck stand noch immer da und wusste nicht was er tun sollte. Er sah wie die gerötete Haut an manchen Stellen Blasen gebildet hatte. Blasen, wie man sie durch große Hitzeeinwirkung bekommt.
„Marius?“, versuchte er es erneut.
„Was… was ist geschehen? War es ein Traum? Bin ich am Leben?“ Marius sah ihn nun schwer atmend an.

Der nächste Teil folgt am Mittwoch.

Dienstag, 11. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 10 - Kampf

Syrills Gedanken wurden schlagartig wieder klarer. Er konnte sogar den Kopf wenden und sah dort den Hünen Marius stehen. Nur mit einer halblangen Hose bekleidet und einem schweren Hammer in der Hand, bot er einen imposanten Anblick.
Der Mann, in seinem dunklen Mantel, hatte sich die ganze Zeit zu Syrill hinuntergebeugt, erst jetzt, als er sich aufrichtete und Marius zuwandte, konnte dieser die leuchtenden Augen sehen.
„Was, bei den elf Höllen…?“ Weiter kam der halbnackte Mann nicht. Einem plötzlichen Angriff ausgesetzt, sprang er zur Seite und damit aus dem Wagen. Der Angreifer hatte blitzschnell seine Klinge gezogen und in einer einzigen, fließenden Bewegung nach Marius geschlagen.
Syrill, der nun frei war, sprang ebenfalls zurück und überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Er kam nur zu einem Schluss und rief erneut laut um Hilfe, während er sich hinter einem der Wagen versteckte.
Marius war völlig überrascht. Hatte er doch die Hilfeschreie zuvor für mehr geträumt, denn real gehalten und eigentlich nur der Vorsicht wegen nachgesehen. Schnell war er in eine Hose geschlüpft und nahm das erst Beste als Waffe, was ihm in die Hände fiel.
Nun stand er einem, scheinbar bestens gerüsteten Kämpfer, direkt vor seinem Wagen gegenüber, der einen Anblick bot, wie er ihn nie zuvor gesehen hatte.
Wieder schlug der dunkle Mann zu. Marius parierte mit seinem Hammer und verlor dabei beinahe einen Finger, als die Klinge den Stil dicht über seiner Hand traf. Der eigene Angriff ging ins Leere, da sein Gegenüber mühelos auswich. Marius erkannte sofort, dass er keine Chance haben würde. Sein Hammer war viel zu langsam und er war noch nie gut mit Waffen gewesen. Seine üblichen Kämpfe trug er mit roher Kraft und den bloßen Fäusten aus – so jedoch war er hoffnungslos unterlegen.
Ein schneller Angriff folgte. Wieder zu langsam mit dem Hammer, brandete diesmal Schmerz durch Marius linke Schulter. Einer Finte zum Opfer gefallen, hatte ihn die schlanke Klinge erwischt. Er spürte sein Blut hervorquellen. Der Angriff war so schnell, er hatte ihn nicht einmal kommen sehen. Erst als er das stechende Brennen fühlte, erkannt er seinen Fehler.
Auch sein Gegner schien sich seiner Überlegenheit nun gewiss. „Gib auf!“, zischte dieser zu Marius hinüber. „Du bist mir nicht gewachsen.“
In der Zwischenzeit waren noch mehr Lichter in den Wagen angegangen und die ersten Rufe wurden laut.
„Wenn du es nicht tust, werde ich nicht nur dich, sondern auch den kleinen Jungen töten. Langsam und schmerzhaft. – Den Jungen. Dich werde ich nur schnell aufspießen.“
Bei diesen Worten schienen die roten Augen noch heller zu strahlen, doch für Marius war das zuviel. Vor diesem Satz wollte er nur auf Zeit spielen, abwarten und hoffen, dass die anderen bald zu Hilfe eilten. Doch nun wollte er dieses bösartige Schwein, nur noch zur Strecke bringen.
Von einem lauten Schrei begleitet, warf er den Hammer auf seinen überheblichen Gegner. Nicht zum Kopf, sondern direkt auf die Körpermitte. Es war ein Geistesblitz, woher auch immer, der ihn auf diese waghalsige Idee brachte. Sie bewegten sich noch immer direkt zwischen den Wagen und Marius, wie auch sein Angreifer, standen gerade sehr nahe an einer der Außenwände – zu nahe. Es fiel dem Mann im Umhang leicht dem Wurf auszuweichen, doch blieb ihm dafür nur eine Richtung, wenn er sich nicht zu Boden fallen lassen wollte. Nach rechts von der Wagenwand weg.
Dort erwartete ihn Marius. Sofort nachdem der Hammer seine Hand verlassen hatte, sprang er genau in den erhofften Weg seines Gegners. Der Plan ging auf und die beiden so unterschiedlichen Kämpfer prallten hart zusammen.

Syrill hatte in dem Augenblick aufgehört zu schreien, als er die Klinge in Marius Schulter dringen sah. Das Schwert war nicht groß, doch das Blut, das es hervorbrachte reichlich. Voller Schrecken erkannte der Junge, selbst aus seiner versteckten Position heraus, den Ernst dieses Kampfes. Noch nie in seinem Leben, hatte er einer tödlichen Konfrontation beiwohnen müssen.
Er bemerkte die Schnelligkeit dieses Mannes und die Leichtigkeit seiner Bewegungen.
Plötzlich schienen die Kämpfer inne zu halten. Der finstere Mann bewegte die Lippen, doch konnte Syrill nicht verstehen, was er sagte. Er sah nur wie sich Marius Gesicht plötzlich, vor Entschlossenheit versteinerte und dieser dann seinen wütenden Angriff begann.

Scheinbar überrascht und durch den Aufprall der beiden Kämpfer, entglitt dem Wesen mit den roten Augen seine Waffe und es entstand ein heftiges Gerangel am Boden.
Marius versuchte sofort seinen Gegner zu packen und damit den Kampf am Boden zu bestimmen. Wie ein Aal auf dem Land wand sich sein Widersacher, doch bildete hier nun die Rüstung und der Mantel einen Nachteil. Zu viele Möglichkeiten für Marius immer wieder an einer anderen Stelle das Wesen packen und festhalten zu können. Schließlich hatte der große, halbnackte Mann seinen Gegner in einer scheinbar ausweglosen Lage festgesetzt.
Sie lagen beide auf der Seite und Marius hatte von hinten, seinen Arm und den Hals des Gegners geschlungen, beide Beine über den Schenkeln des Mannes verschränkt und zog zusätzlich noch, mit seiner freien Hand einen Arm des Wesens, hinter dem Rücken nach oben. So hörte die Gegenwehr endlich auf.

„Du wirst niemanden töten!“, stieß Marius schwer atmend hervor. Der Kampf hatte ihn erhitzt und verausgabt. Seine Schulter brannte höllisch und sein ganzer Körper schien zu glühen.
„Wir werden sehen.“, konnte er gepresst vernehmen. Dann hörte er eine andere Stimme neben sich.
„Marius lass ihn los! Schnell!“ Dareck stand auf einmal neben ihm und versuchte den großen Mann zum loslassen zu bewegen, doch Marius drückte mit seinem Arm die Kehle des Mannes weiter zu. Sein Arm brannte dabei. Die Schmerzen nahmen immer mehr zu, je mehr er presste, doch es war ihm egal. Er war in einer Art Rausch. Ausgelöst durch die Worte und den Kampf. Diesen Gegner hier wollte er tot sehen. Er fragte sich, ob die Augen dann wohl aufhören würden zu glühen.
„Marius, bitte. Er wird dich töten!“ Dareck zog und zerrte an seinem Freund.
‚Mich töten?’ Die Worte ergaben für Marius keinen Sinn. Er war es doch, der den anderen würgte und nicht umgekehrt.
Endlich erkannte er, dass etwas nicht stimmte. Die Hitze, die er spürte kam nicht nur durch den Kampf. Dort wo er direkt die Haut seines Gegners berührte, fühlte es sich an, als ob er ein brennendes Stück Kohle halten würde. Zuvor hatte seine Rage den Schmerz betäubt, doch jetzt konnte er seinen Griff nicht mehr halten. Marius ließ los und stieß das Wesen von sich.
Keinen Moment zu früh, wie sich herausstellte. Neben sich sah Marius und auch alle anderen, die in der Zwischenzeit aus den Wagen gekommen waren, seinen Gegner in einer gewaltigen roten Stichflamme auflodern. Es war, als ob man Öl in ein Feuer gegossen hätte.
Die brennende Gestalt erhob sich. Die Augen gen Himmel gerichtet, stand das Wesen einen Moment nur da. Die Flammen verzehrten die Haut, wie auch die Kleider. Doch kein Laut des Schmerzes war zu vernehmen.
Vollkommen unerwartet, stürzte sich plötzlich das brennende Monster erneut auf Marius. Der war nur etwas zurückgerutscht und saß noch immer am Boden. Bestürzt nahm Marius die Hände vor sein Gesicht, um seine Augen vor den heißen Flammen zu schützen, als das brennende Wesen sich über ihn beugte.
„Schau mich an!“ zischte das Monster und versuchte Marius die schützenden Hände wegzuziehen. Sengender Schmerz durchzuckte dort die Handgelenke des Mannes, wo er berührt wurde.
Alle Anwesenden schauten entsetzt dem furchtbaren Geschehen zu. Rufe wurden laut.
„Holt eine Decke!“
„Wasser!“
„Zieht ihn weg, schnell!“
Die ersten, der Schausteller stürzen gerade los, da war es schon vorbei. Wie dünnes Pergament zerfiel plötzlich der Körper binnen weniger Augenblicke unter den Flammen zu Asche. Langsam rieselten sie auf Marius herab. Es sollte nichts Greifbares vom Körper des Wesens übrig bleiben.

Weiter gehts am Wochenende.

Freitag, 7. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 9 - Panik

Dareck stand bei einem der Pferde und legte diesem beruhigend seine Hand auf die Flanke.
„Psst. Ganz ruhig. Was hat euch nur so in Aufregung versetzt?“, flüsterte der Messerwerfer beruhigend dem Tier zu, als ob es ihm Antwort geben könne. Sorgsam blickte er sich immer wieder um, doch hier im Dunkel des Waldes konnte auch er so gut wie nichts erkennen.
‚Wo ist nur Chester?’, fragte er sich besorgt. Er beschloss, einmal die eingezäunten Tiere zu umrunden und dann die übrigen Schausteller zu verständigen. Langsam schritt er um den Platz der Pferde und ließ sich dabei von dem Netz leiten, das als provisorischer Zaun diente. Er hatte seinen Weg noch nicht einmal halb vollendet, als er über eine große Wurzel schritt und dabei auf etwas zugleich Weiches wie Hartes trat.
Sofort beugte er sich nieder und ertastete mehr, als dass er es sah, einen leblosen Körper. ‚Verdammt!’, schoss es ihm durch den Kopf, die Kleidung war von einer warmen dicken Flüssigkeit durchtränkt. Dareck hob seine Hand in das schwache Mondlicht, das nur an wenigen Stellen die dichten Wipfel durchdrang. Er konnte eindeutig die dunkle Farbe erkennen. Nun musste er Gewissheit haben. Er hoffte inständig, dass es sich vor ihm nicht um Chester handelte. Er mochte die beiden kleinwüchsigen Brüder; sie spielten oft Karten zusammen.
Er zog an dem Körper, um ihn zu einer etwas helleren Stellen zu bewegen und bemerkte dabei schon das geringe Gewicht. Als er endlich den Schatten des großen Baumes überwunden hatte, sah er seine Befürchtung endgültig bestätigt.
Vor ihm lag Chester, dessen Oberkörper voller Blut war. Dareck öffnete das vormals helle Hemd und konnte darunter eine tiefe Wunde in der Seite der Brust sehen, aus der noch immer Blut floss. Die Wunde schien, als wäre es nur ein einziger Stich mit einer schlanken Waffe gewesen. Dareck war verwirrt, da er keinerlei Lärm oder Alarmrufe vernommen hatte. Eine solche Verletzung tötete normalerweise nicht sofort und wurde nie zugebracht, ohne dass man vor Schmerz aufschrie. Mehr der Gewissheit wegen, denn mit Hoffnung, tastete er nun nach dem Herzschlag. Er konnte es kaum glauben, als er tatsächlich etwas spürte.
Nun handelte er schnell. Er zog eines seiner Messer, die er immer bei sich trug und trennte den Ärmel von Chesters Hemd. Diesen stopfte er nun rücksichtslos in die Wunde. Er wusste, dass er die Blutung stoppen musste, wenn Chester noch eine Chance haben sollte. Während er dies tat, besann er hektisch seine Möglichkeiten. Hier standen die Chancen schlecht für den kleinen Mann. Er war stark versucht, einfach um Hilfe zu rufen, doch wollte er den oder die Angreifer nicht auf sich aufmerksam machen. Auch musste er an den Jungen denken, den er am Rand des Waldes zurückgelassen hatte. Innerlich seine Anweisung an Syrill verdammend, musste er nun eine Entscheidung treffen.

Noch immer verharrte der Junge bewegungslos am Boden. Die Gestalt mit den leuchtenden Augen schien ihn nicht bemerkt zu haben, da sie sich wieder umgedreht hatte und weiter das Lager beobachtete. Keine zwanzig Schritt hinter ihr kauerte Syrill und wagte noch nicht einmal zu atmen. Seine Angst schnürte ihm die Kehle zu und er wusste nicht, was er tun sollte. Innerlich rang er mit sich selbst. Ein Teil voller Panik wollte aufspringen und einfach weglaufen, tiefer in den Wald hinein, nur weg von diesen bösartigen, leuchtenden Augen. Der vernünftige Teil – nicht minder voller Angst – riet ihm, es wieder einmal einfach auszusitzen und auf sein Glück zu vertrauen.
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als die Gestalt plötzlich auf die Lichtung trat, von Syrill fort und auf die Wagen zu. Der Junge sog tief die Luft ein, doch wagte er noch immer nicht sich aufzurichten. Mehrere Momente verstrichen, bevor ein Knacken fast direkt neben ihm, ihn erneut zusammenfahren ließ.
Seine Panik erfuhr eine weitere Steigerung. Nun konnte er nicht mehr anders. Er verlor völlig die Kontrolle, sprang auf und rannte los. Er kam nicht weit, da jemand, kaum, dass er auf den Beinen war, seinen Arm fest packte und somit jegliche Flucht zunichte machte. Eine Hand tastete nach seinem Mund und versuchte ihn am schreien zu hindern, doch der Junge biss einfach, so fest er konnte zu. Die Panik ließ ihn nur noch reagieren. Er wusste nicht was er tat, konnte nicht wirklich denken. Er hörte nichts, sah nichts. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte fing Syrill an, um sich zu schlagen und zu treten.
Plötzlich, war er frei und fand auch endlich seine Stimme wieder. Laut „Hilfe!“ und „Aufwachen!“ brüllend, rannte er einfach auf die Lichtung. Er wusste nicht, ob er verfolgt wurde, es war ihm auch egal. Er schrie einfach weiter und lief direkt auf den Wagen seiner Familie zu.

Dareck fluchte. Der Junge musste ihm die Hand blutig gebissen haben. Fast ebenso erschrocken wie Syrill, war es reines Glück gewesen, dass er ihn zu fassen bekommen hatte, als der Junge neben ihm so plötzlich hochschoss. Leise hatte er auf den panischen Jungen eingeredet, doch schienen seine Worte Syrill nicht erreicht zu haben. Ein ungünstiger Tritt des Jungen traf schließlich Darecks Knie. Der Schmerz lockerte den Griff und dem Jungen gelang es, sich los zu reißen. Dareck sprang ihm hinter her.
Auch er hatte zuvor die Gestalt am Rande des Waldes erspähen können und beobachtet wie diese auf die Lichtung trat.
Der Versuch, den Schmerz in seinem Knie zu ignorieren war nicht sonderlich erfolgreich und Syrill war schnell. Dareck humpelte dem Jungen so zügig es ging hinterher, doch dieser lief einfach schreiend weiter.

Jäh wurde Syrills Flucht unterbrochen. Er bog gerade um die Ecke eines Wagens, als er direkt in die Arme eines hämisch grinsenden Mannes rannte. Seine Rufe blieben ihm im Hals stecken, als erneut seine Stimme versagte. Augen, so rot wie glühender Stahl, schienen Syrill direkt in die Seele zu blicken. Das Gesicht, das er nun deutlich vor sich hatte, war schmal und hager. Eine Nase, die den Eindruck eines Raubvogels erweckte, ließ den Mann noch bedrohlicher erscheinen. Syrill war gebannt und wie versteinert.
Irgendwie realisierte er, dass im Wagen neben ihm Licht anging. Irgendjemanden musste er mit seinen Schreien geweckt haben, doch war Syrill zu sehr in diesen roten Augen gefangen, um erneut auf sich aufmerksam zu machen. Fast schien es dem Jungen, als könne er etwas in diesen feurigen Pupillen erkennen. Etwas, das tobte und nicht zu bezwingen war.
„Du warst sehr laut, Junge. Willst du etwa dein Leben heute Nacht verlieren?“, zischte der Mann leise mit einer Stimme, die unmissverständlich klar machte, dass er meinte was er sagte. Syrill schüttelte zögerlich den Kopf, den Blick noch immer nicht von diesen Augen befreien könnend.
„Weißt du, was ich hier will? Wen ich suche?“ Wieder wollte Syrill den Kopf schütteln, doch konnte er es nicht. Fast unmerklich nickte er zur Bestätigung.
Aus dem Wagen kamen nun zusätzlich zum Licht auch noch Geräusche, doch schien dies den finsteren Besucher nicht zu stören.
„Was denkst du, warum ich hier bin? Vielleicht bin ich ja deinetwegen hier. Vielleicht bin ich gekommen um einen kleinen Jungen zu besuchen… und vielleicht sogar, um ihn mit mir zu nehmen.“ Bei diesen Worten verzogen sich die schmalen Lippen zu einem gemeinen Grinsen. Nicht einmal bei Xarabos hatte Syrill bisher einen solch wahrhaft bösen Ausdruck gesehen. Er spürte, wie ihm schwindlig wurde und er das Gefühl bekam, seine Umbebung würde verschwimmen. Nur das Gesicht mit den Augen blieb deutlich und scharf.
Scheinbar um noch mehr Angst bei dem Jungen zu schüren, setzte der Mann gerade zu einer weiteren Bemerkung an, als die Tür des Wagens neben ihnen aufging und eine tiefe Stimme fragte: „Was ist denn hier los?“

Wie es weitergeht erfahrt ihr am Mittwoch.

Dienstag, 4. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 8 - Eine schlaflose Nacht

So saßen die Beiden nun also unter einem Baum, am Rand der Lichtung, betrachteten von dort aus das Treiben um das Feuer und wussten nicht so recht, wie sie die Geschehnisse des heutigen Tages deuten sollten. Auch Melton wusste keinen Rat auf die wenigen Gesprächsfetzen und Antworten, die sein Bruder erhalten hatte.
Irgendwann gingen die ersten Schausteller zu Bett. Das Feuer brannte nur noch niedrig und es hatte sich ein großer, rot glühender Kreis gebildet. Die Lichtung wurde davon jetzt nur noch spärlich beleuchtet. Noch immer saßen die beiden Jungen alleine an ihrem Platz. Jeder hing seinen Gedanken nach und auch Melton gähnte bald vor Müdigkeit. Kurze Zeit später betrat auch schon ihre Mutter den Platz vor der Feuerstelle. Suchend sah sie sich um, und rief dann: „Melton, Syrill! Schlafenszeit!“
Nachdem die zwei Brüder der Aufforderung nachgekommen waren, fragte Melton: „Wo ist denn das Kräutermütterchen nun untergebracht?“
Helmine berichtete ihren Kindern darauf, dass die allein stehende Köchin Milla sie erst mal für diese Nacht bei sich im Wagen schlafen lassen würde.
Seit vor etwa einem halben Jahr im Winter, Millas Mann nach einer schweren Krankheit sein Ende gefunden hatte, hatte sie noch etwas Platz übrig. Normalerweise wurden alle Wagen bis auf das letzte bisschen Platz belegt und die Schausteller bewohnten meist zu mehreren einen der großen und teuren Wagen. Neben der Unterkunft von Milla gab es derzeit nur einen weiteren Wagen, der ganz allein bewohnt wurde. Dem exzentrischen Zauberer Xarabos war dieser Luxus vergönnt. Er genoss offenscheinlich diese Sonderstellung und hielt dies für eine Respektsbekundung, die ihm in seinen Augen auch zustand. Doch in Wahrheit wollte niemand seinen Wagen teilen, da er von den Meisten als unausstehlich empfunden wurde. Nur wenige kamen leidlich gut mit ihm aus, doch seine Zauberkunststücke waren jedes Mal ein Höhepunkt ihrer Vorstellungen. Wenn er vor den Augen des überraschten Publikums Tauben und andere kleine Tiere aus scheinbar leeren Kisten hervorzog und diese später in gleißend hellen Blitzen verschwanden, waren immer begeisterte „Oohs“ und „Aahs“ zu vernehmen. Obwohl er eigentlich Kinder hasste, glühten deren Wangen stets am Meisten.
Es dauerte nicht mehr lange, da lagen auch Syrill und Melton unter ihren Decken im Wagen. Hastor und Helmine hatten keine Widerrede geduldet und alle Fragen auf ein anderes Mal vertröstet. Das Licht verlöschend, waren die Eltern anschließend selbst zu Bett gegangen.
Der Raum innerhalb des Wagens wurde versucht bestens auszunutzen. So schliefen die beiden Brüder direkt Kopf an Kopf auf dem Boden des Wagens, wo jeden Abend mit Decken und einer weichen Unterlage eine Schlafstätte hergerichtet wurde. Nur die Eltern hatten eine feste Koje am Ende des Wagens. Doch auch diese wurde tagsüber anderweitig genutzt. Man konnte einfach ein Brett herunter klappen, wodurch die Koje sehr schnell und einfach zu einem Arbeitstisch umfunktioniert wurde. Hier führte Hastor seine Bücher oder schneiderte Helmine neue Kostüme für die Vorstellungen.
In dieser Nacht lag Syrill noch sehr lange wach. Als er schon längst laute Schnarchgeräusche von seinen Eltern vernehmen konnte, wälzte er sich noch immer von einer Seite auf die andere und fand keinen Schlaf. Er versuchte seinen rastlosen Geist zu beruhigen, indem er sich immer wieder einredete, dass er ja bald alle Antworten erhalten würde, deren Fragen ihn so sehr beschäftigten, doch es nutzte nichts.
„Melton, bist du wach?“, fragte er schließlich flüsternd seinen Bruder. Doch von diesem kamen nur tiefe, entspannte Atemseufzer. Enttäuscht drehte sich Syrill auf den Rücken und starrte die dunkle Decke an. Er wusste nicht, wie lange er jetzt schon keinen Schlaf gefunden hatte, aber schließlich entschied er sich aufzustehen. Vielleicht würde ihn die kühle Nachtluft etwas ermüden und seine Gedanken sortieren. Er verstand nicht, warum nur er so aufgekratzt war, während sein Bruder scheinbar selig schlief.
So vorsichtig und leise, wie es der beengte Wagen zuließ, schälte er sich aus seiner Decke und krabbelte zur Wagentür. Zaghaft öffnete er den Riegel und drückte die Tür einen Spalt breit auf, so dass er sich gerade hindurch quetschen konnte.
Auf der anderen Seite empfing ihn fahles Mondlicht und kühle Frische. Nachdem er die Tür wieder leise angelehnt hatte, atmete Syrill erst einmal tief durch. Die Luft hier im Wald und so nah an dem breiten Bach war feucht und hatte ein ganz eigenes Aroma. Er roch Moos und andere Pflanzen. Syrill war zuvor noch nie aufgefallen, was für einen Duft solch ein Wald bei Nacht verströmte. Langsam ging er ein paar Schritte in Richtung des längst erloschenen Feuers. Noch immer glühten dort einzelne Stellen vor sich hin. Er setzte sich auf ein einzelnes großes Holzscheit, das am Vorabend nicht mehr den Weg in die Flammen gefunden hatte und genoss die ruhige Atmosphäre, die die Natur um ihn herum gerade schuf. Tatsächlich konnte er hier endlich etwas abschalten.
Syrill lauschte neugierig den unterschiedlichen Geräuschen, die der Wald für ihn bereit hielt und war erstaunt, wie lebendig auch um diese Zeit alles war, wenn man sich nur die Mühe gab und genau hinhörte. Er wusste nicht weshalb, aber auf einmal konnte er ein tiefes Gefühl der Erhabenheit spüren. Seine Finger begannen zu kribbeln und seine Nackenhaare schienen sich sogar leicht aufzustellen – so intensiv war das Empfinden.
Ein paar Momente genoss er dieses ungewohnte Gefühl, doch dann spürte Syrill eine leichte Veränderung. Er war sich sicher, nicht mehr allein auf der Lichtung zu sein. Irritiert und auch etwas beängstigt drehte er sich um. Tatsächlich, ein paar Meter hinter ihm konnte er eine dunkle Gestalt ausmachen.
„Dareck, bist du das?“, fragte der Junge etwas schüchtern. Erleichtert erkannte er, dass es tatsächlich der finstere Messerwerfer war, als dieser näher auf ihn zutrat.
„Was machst du so spät hier draußen, Syl? Ein Junge in deinem Alter gehört um diese Zeit ins Bett.“, begrüßte der hagere Mann den verloren wirkenden Jungen, als er sich neben ihn, auf ein weiteres Holzscheit setzte. „Was ist los? Kannst du nicht schlafen?“
Syrill nickte. Dann fragte er: „Und was treibt dich um diese Zeit noch hier draußen um?“
„Na was wohl? Irgendjemand muss ja auf unsere Pferde achten. Schließlich sollen die über Nacht keine Jungen bekommen.“
„Was machst du dann hier? Die Pferde sind doch in der Nähe des Baches eingezäunt.“, entgegnete Syrill schnippisch.
„Ganz einfach, ich bin noch nicht dran. Chester hat gerade noch Schicht und ich bin, wie immer schon etwas früher wach.“
Chester und sein Bruder Willy waren beide für die Belustigung des Publikums zuständig. Jeder maß für sich allein gerade mal drei Fuß und ihre Späße sorgten für etliche Lacher während den Vorstellungen.
„Bin gespannt, ob ich ihn mal wieder beim Schlafen erwische? Wäre nicht das erste Mal.“
Die Wachschichten wurden von manchen während den Überlandreisen etwas lax gehandhabt. Besonders, wenn das bereiste Gebiet als sicher galt. Weder Räuber, noch irgendwelche gefährlichen Raubtiere trieben hier angeblich ihr Unwesen. Das umliegende Gebiet galt als befriedet und für Reisende als ungefährlich. Nur die umherziehenden Steuereintreiber und Wegzollposten waren als das größte Übel zu fürchten, so sagte man. Doch das war der Preis für sichere Straßen und gefahrloses Reisen.
„Komm, wir schauen mal nach und machen uns einen Spaß, wenn wir ihn schnarchend finden.“ Dareck erhob sich. „Hast du schon mal einen schlafenden, abgebrochenen Riesen nach einem kurzen Flug, prustend in einem kalten Bach erwachen sehen? Das solltest du dir nicht entgehen lassen.“
Syrill musste nun tatsächlich grinsen, bei dieser Vorstellung.
"Also gut.", antwortete der Junge und stand ebenfalls auf. Vorsichtig folgte er Dareck in Richtung Bach, wo sich irgendwo Chester in der Nähe der Pferde befinden musste.
Wenn die Gruppe in einem Wald nächtigte, suchten sie sich normalerweise eine geeignete Stelle in unmittelbarer Nähe der Wagen und banden dort eine Art grobes Netz um eine größere Gruppe Bäume. Die Tiere konnten sich dann dort drinnen frei bewegen und es genügte eine Wache zum Lärm schlagen, falls doch etwas Unvorhergesehenes geschehen sollte.
Dareck bewegte sich geschickt, ohne auch nur den geringsten Laut zu verursachen und Syrill versuchte es ihm gleich zu tun. Er war froh, über das helle Mondlicht und die sternklare Nacht. Ein gewisses Gefühl der Spannung ergriff ihn und der Junge fragte sich, ob sie den kleinwüchsigen Chester wirklich schlafend antreffen würden.
Als sie sich dem Bach so weit genähert hatten, dass sie bereits sein sanftes Rauschen hören konnten, hielt Dareck plötzlich inne.
„Hörst du das?“ zischte er zu Syrill.
Syrill lauschte, doch konnte er außer dem Schnauben und vereinzeltem Gewieher der Pferde nichts vernehmen.
„Nein, was meinst du?“ Angestrengt versuchte der Junge noch etwas anderes aus dem stillen Wald zu hören. Doch Dareck stand wie versteinert mit erhobener linker Hand da, um dem Jungen Ruhe zu gebieten.
„Du bleibst hier und bewegst dich nicht vom Fleck! Ich bin mir nicht sicher und möchte niemanden vorschnell wecken.“ Sagte es und verschwand zwischen den Bäumen.
Syrill wollte noch nachhaken, worüber er sich nicht sicher war, doch da war der Messerwerfer schon längst im Dunkel des Waldes abgetaucht. Hier, zwischen den ersten Bäumen, wo die Sichel des Mondes ihr Licht nicht mehr so ungehindert verbreiten konnte, fühlte sich Syrill nun reichlich unwohl.
Noch immer versuchte der Junge zu ergründen, was Dareck so bedachtsam hatte werden lassen.
Er konnte noch immer nur die Pferde vernehmen... die um diese Zeit eigentlich nicht so unruhig sein sollten. Das war es! Auch Dareck war nur auf die Pferde aufmerksam geworden, doch schien die irgendetwas in Aufruhr versetzt zu haben. Weiterhin hatten die Pferde Syrill vom eigentlich zu stillen Wald abgelenkt. Es war zwar nicht dieselbe beunruhigende Atmosphäre wie noch zu Mittag des Tages, doch der Wald war auf einmal eindeutig zu ruhig.
Sich an den Stamm eines Baumes pressend, als ob dieser ihm Sicherheit geben könnte, verharrte der Junge und wartete besorgt ab. Er überlegte, ob er alle Anweisungen missachten und sofort die übrige Gruppe aufwecken sollte, doch noch während er über eine Entscheidung nachdachte, sah er bereits wieder Darecks Silhouette zwischen den Bäumen an ihm vorbei huschen. Der Messerwerfer schien sich noch immer umzusehen – aber wieso bewegte er sich nun auf die Wagen zu? Hatte er etwas entdeckt? Syrill hielt den Atem an. Dareck schien genau am Rand der Lichtung zu verharren und das Lager zu beobachten.
Auf allen Vieren robbte der Junge nun langsam und lautlos ebenfalls zum Rand des Waldes, als sich die Gestalt die dort stand, plötzlich umdrehte.
Syrill blieb fast das Herz stehen. Er konnte ganz schwach zwei rot leuchtende Punkte, an Stelle der Augen ausmachen. Auch konnte er nun gegen das fahle Licht der Waldlichtung erkennen, dass die Gestalt einen Mantel trug, mit einer Kapuze tief im Gesicht. Alles andere lag im Schatten.

Den nächsten Teil findet Ihr am Samstag wieder hier.