Sonntag, 30. Oktober 2011

2. Kapitel Teil 1 - Weißenburg

Die Sonne wollte schon bald am Horizont verschwinden und der Verkehr der Handelsstraße von Weißenburg war fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Die Straße war den ganzen Tag schon gut bereist und erst zum Abend hin, wurde es etwas ruhiger. Das anstehende Fest zog viele Besucher an und die Stadt würde wohl bald aus allen Nähten platzen.
Kelor von der Stadtwache hing seinen Gedanken nach. Schon längst bei einem Bier im Wirtshaus, statt bei dem Geschehen auf der Straße, träumte er vor sich hin.
Der junge Mann wähnte sich bereits in seiner Lieblingskneipe, wo ihn noch ein Kartenspiel erwarten sollte. Fast konnte er den Duft von Alefs Kartoffeleintopf tatsächlich erschnuppern, auf den er sich schon den ganzen Tag so sehr freute. Diese unbeschreibliche Mischung aus einer Prise Muskat, Majoran und viel wildem Knoblauch. Das Wasser lief ihm bereits im Mund zusammen, als sich seine Vorstellung mit einem unangenehm realen Duft verband. Keine edlen Gewürze, sondern eher eine herbe Mischung aus altem Schweiß und Pferdemist. – Ja, so ließ es sich wohl am besten beschreiben.
Die Nase rümpfend, wandte er sich der vermeintlichen Quelle zu.
Ein kleiner Mann stand vor ihm. Gerade einmal viereinhalb Fuß hoch, von sehr stämmiger Figur mit breitem Kopf und wohl das Ungepflegteste, was Kelor je in seinem Leben gesehen hatte. Dieser Zwerg hatte einen langen, roten Bart, der verfilzt und schmutzig herab hing. Außerdem war er in eine Art Rüstung gekleidet, die über und über mit Stacheln und scharfen Kanten übersät war. Auf seinem Kopf trug er einen alten Helm, mit einem gewaltigen Horn oder Zahn von gut anderthalb Fuß, dessen ehemaliger Besitzer den kleinen Mann um ein vielfaches überragt haben musste. An diversen Stacheln der Rüstung waren kleine Hautfetzen und Haarbüschel zu erkennen und über die restlichen dunklen Flecken wollte Kelor lieber keinen Gedanken verschwenden.
Auf der Schulter des Zwerges ruhte ein gewaltiger Vorschlaghammer und in seiner anderen Hand hielt er einen leeren Wasserschlauch, den er Kelor unter die Nase hielt.
Mit rauer, kehliger Stimme fragte er: „Wo kann ich'n das hier auffüllen?“
Kelor schaute irritiert in Richtung des kleinen Baches, der leise plätschernd an ihnen vorbei floss. Der kleine Mann folgte seinem Blick und schüttelte dann energisch den Kopf, dass seine zotteligen Haare nur so umher flogen.
„Nein, nein, nein! Denk nicht mal dran! Kein ekelhaftes Wasser wird freiwillig diese Kehle hinab rinnen!“
‚Wohl nicht nur die Kehle’, dachte sich Kelor, dessen Wunsch nach einem Bad immer ausgeprägter wurde.
„Meine Suche gilt Schnaps, Bier oder Wein. Und zwar in genau dieser Reihenfolge. Also, was kannst'n empfehlen? Was Gutes zu essen, wär' übrigens auch nich' verkehrt.“
Völlig verdattert und überrumpelt erwiderte Kelor etwas, das ihm noch den ganzen Abend über leid tun sollte.
„Äh, versucht euer Glück doch mal bei Alef, in der Turmgasse.“
„Alef, ja? Nun gut Jungchen, dann hab mal Dank. Wünsch' noch nen ruhigen Abend.“
Und mit diesen Worten stapfte die ungewöhnliche Gestalt an ihm vorbei, durch das Stadttor hindurch und nach Weißenburg hinein.
Noch immer fassungslos schaute Kelor ihm nach. Er hatte ein ungutes Gefühl, was die kommenden Tage betraf – und war das etwa ein Kadaver was da aufgespießt am Rücken des Zwerges hing?
Endgültig den Plan für den heutigen Abend, zu Gunsten eines Besuchs im Badehaus ändernd, wusste er, dass er seinen Vorgesetzten unterrichten sollte.

Weißenburg war die größte Stadt in diesem Landstrich. Reich durch Handel und an Einwohnern, liefen alle großen Landstraßen hier zusammen. Wie jedes Jahr zu dieser Zeit fanden ein großer Markt und ein Fest statt, die eine ganze Woche andauern sollten. Doch in diesem Jahr war das nicht alles. Der Rat der Herrschaftshäuser wollte noch mehr Besucher in die Stadt locken und hatte zu diesem Zweck Spiele ausgerufen, an denen jeder, der es wollte teilnehmen konnte. Es handelte sich um derer unterschiedlichster Art, vom Bogenschießen über Gruppenspäße wie Tauziehen, bis hin zu Kämpfen Mann gegen Mann. Man munkelte, es wäre innerhalb des Rates ein kleiner Zwist entstanden, ob diese Kämpfe auch mit blanken Waffen stattfinden dürften, aber am Ende hatte man sich offensichtlich doch dagegen entschieden. Die Stadt sollte nicht durch Blutvergießen ihren Ruf vergrößern. Stattdessen hatte man sich auf wertvolle Trophäen geeinigt, die die jeweiligen Sieger erwarteten. Nur ein kleines Startgeld war zuvor zu entrichten. Doch trotz dessen, wurde der Meldestelle seit Tagen die Tür eingerannt.

„Es genügt für heute. Kommt morgen wieder. Bei Sonnenuntergang schließen wir.“ Der Raum war noch mit gut einem Dutzend Wettkämpfern gefüllt und es war anzunehmen, dass noch immer welche kommen würden, wenn jetzt nicht bald der Schlüssel gedreht wurde. Es war seit Tagen immer dasselbe. Zum Abend hin, wenn genügend Alkohol die letzten Zweifel beseitigt hatte, nahm die Zahl der Meldungen plötzlich zu. Meister Berelon, der damit betraut war, hatte sich schon des Öfteren gefragt, wie viele von diesen Spätmeldungen tatsächlich auch am Tag ihres Wettkampfes erscheinen würden. Er tippte auf gerade Mal die Hälfte. Ihm sollte es recht sein, konnte er doch so, noch nachträglich etwas an den Büchern feilen und die ein oder andere Startgebühr, in sein eigenes Beutelchen wandern lassen. Für heute jedoch reichte es ihm tatsächlich.
„Nein, nichts mehr. Morgen früh könnt ihr mich wieder hier antreffen.“
Resigniert zuckte der junge Bursche vor ihm mit den Achseln und drehte sich um. Ein starker Geruch nach billigem Bier lag noch in der Luft, als er sich entfernte. Berelon klappte sein Buch zu und ohne aufzusehen rief er laut: „Das gilt auch für den Rest. Morgen wieder.“
Während er sorgfältig sein Tintenfass verschloss, konnte er vernehmen, wie sich unter missmutigem Gemurmel der Raum leerte. Es schien sich herum gesprochen zu haben, dass es bisher noch keine Ausnahmen gegeben hatte und sein Wort endgültig war. Er holte aus einer der Schubladen seines Schreibtisches den Amtsstubenschlüssel hervor und wollte gerade aufstehen, als lautlos eine Gestalt vor ihn trat.
„Ich bin aberrr jetzt hierrr.“
Der alte Mann sah überrascht und verärgert auf. Doch seine Erwiderung blieb ihm im Halse stecken.
Vor ihm stand ein Wesen, wie er es zuvor noch nie gesehen hatte. Über sechs Fuß groß und in Pelz gehüllt. Nein, nicht in Pelz gehüllt sondern tatsächlich über und über mit Haaren bewachsen. Eine Hand, die eher einer Pfote glich, griff nach dem Buch vor ihm und schlug es wieder auf.
„Trrragt mich jetzt ein!“
Das Wesen ging zwar auf zwei Beinen, doch ähnelte es mehr einer gewaltigen Katze. Muskulös und sehnig unter dem rötlichen Pelz, der mit schmalen schwarzen Streifen durchsetzt war. Selbst der Kopf hatte so gut wie nichts Menschliches an sich, sondern glich einem wilden Raubtier. Außer einer Art Lendenschurz trug das Katzenwesen nur einen ledernen Brustpanzer, der aussah, als hätte man einen langen Nietengürtel immer wieder um den Oberkörper geschlungen.
Das Wesen beugte sich etwas vor und schob mit einer hervorschnellenden Kralle aus seiner Pfote, das gerade geschlossene Tintenfass auf Berelon zu.
„Mein Name ist Shirazz.“

Wie gewohnt, findet ihr den nächsten Teil am Mittwoch hier.

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