Sonntag, 16. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 11 - Ein tödlicher Traum

„Also, was war hier los?“ Hastors Stimme wirkte ruhig, doch war ihm die Anspannung deutlich anzusehen. Sie befanden sich in ihrem Wagen, um die jüngsten Ereignisse der Nacht zu besprechen. Diesmal waren auch die beiden Jungen anwesend. Marius, der in der Zwischenzeit zwei dicke Verbände mit Wundsalbe, um seine Handgelenke hatte, lehnte an der Wand. Neben ihm saß Dareck auf einem Schemel. Helmine befand sich derzeit mit Olinga bei Chester in dessen Wagen. Er war noch immer nicht bei Bewusstsein und es stand schlecht um den kleinen Mann.
„Syrill, was hast du eigentlich dort draußen zu suchen gehabt?“
„Ihn trifft keine Schuld.“, mischte sich Dareck ein. „Der Junge konnte nur nicht schlafen und ich überredete ihn, mit mir zusammen Chester einen Streich zu spielen. Wer konnte ahnen, dass das schon jemand anderes erledigt hatte?“ Dabei verzog sich Darecks Gesicht zu einem gequälten Grinsen. Man sah ihm die tatsächliche Sorge um den verletzten Freund deutlich an.
So berichteten die drei also das, was sie zu erzählen hatten.
„Zum Glück hat mich Dareck zum loslassen bewegt.“, schloss gerade Marius seine Erzählung. „Sonst wäre auch ich in Flammen aufgegangen.“ Dabei hob er, zur Verdeutlichung seine bandagierten Arme. Für einen Moment hingen alle still, ihren Gedanken nach.
„Wieso eigentlich?“, fragte da plötzlich Syrill.
„Wieso? Soll ich die Bänder noch mal abmachen, Junge? Die Flammen waren echt, verdammt!“
„Das meine ich doch nicht.“ Dann wandte sich der Junge zu dem Messerwerfer. „Woher hast du gewusst was passieren würde, Dareck? Bist du so einem Monster schon einmal begegnet?“
Nun richteten sich alle anwesenden Augen auf den dunkelhaarigen Mann auf dem Schemel, doch Dareck schüttelte den Kopf.
„Nein, Olinga, sie sagte es mir. Ich war noch keine drei Atemzüge bei dem Gerangel am Boden, da stand sie plötzlich neben mir und sagte, dass ich Marius zum loslassen bewegen müsse oder dass er sonst stirbt. Dabei wurden auch diese verfluchten Augen immer heller. Sie strahlten richtig. Da wusste ich, dass es besser war, ihren Worten Glauben zu schenken.“

Es sollte noch eine ganze Weile dauern, bis endlich Helmine in den Wagen kam, doch war sie allein.
„Wo ist Olinga?“, erkundigte sich Hastor. Auch die anderen befanden sich noch im Wagen.
„Sie ist zu Milla und wollte zu Bett gehen. Der Abend hat sie sehr angestrengt.“ Auch Helmine wirkte verausgabt und müde.
„Wie geht es Chester?“ Die Besorgnis in Darecks Stimme war klar zu vernehmen.
„Noch immer nicht gut. Wir wissen nicht, wie tief er verletzt wurde. Olinga hat seine Wunde mit verschiedenen Pflanzen behandelt, doch er hat noch immer nicht das Bewusstsein erlangt.“
Hastor dachte einen Moment nach, dann sagte er: „Marius, geh sie holen. Ich will die Ereignisse sofort besprechen!“
„Jetzt?“, entgegnete Helmine darauf scharf. „Es ist spät und wir brauchen alle unseren Schlaf. Schau dir die Kinder an, Mann!“
Doch Hastor blieb hart: „Ja, jetzt! Marius, geh!“
Während Marius den Wagen verließ, war Helmine deutlich ihre Entrüstung anzusehen.
„Schau mich nicht so an, Weib! Olinga scheint mehr über die heutigen Vorkommnisse zu wissen, als sie uns gesagt hat.“
Dann erklärte Dareck, wie Olinga ihn bei dem Kampf gewarnt hatte. Wieder verbrachten sie eine kleine Weile mit Warten, bis Marius endlich wieder den Wagen betrat. „Sie ist weg.“
„Was?“, entfuhr es Hastor.
„Sie ist nicht in Millas Wagen und sei dort auch, nachdem sie die Kräuter für Chester geholt hatte, nicht mehr gewesen.“
„Verdammt. Was ist hier los? Das wird ja alles immer besser.“ Hastor war ratlos.

Sie entschieden schließlich, das Lager und die unmittelbare Umgebung nach Olinga abzusuchen. Alle, die noch wach lagen beteiligten sich hieran, doch Olinga blieb verschwunden.
Nachdem neue Wachen eingeteilt, aber ohne Licht in die geschehenen Ereignisse gebracht zu haben, kehrte endlich wieder Ruhe in das Lager ein.

Es war finster um Marius. Er lag da und versuchte zu ergründen wo er sich befand. Träumte er? Dies war nicht sein Bett in dem Wagen, den er sich mit Dareck teilte. Es gab kein Mondlicht, das normalerweise durch das kleine Fenster auf sein Kissen schien, nur absolute Dunkelheit. Er wollte sich aufrichten, sich umschauen, doch es gelang ihm nicht. Was war geschehen? War er tot? Er spürte seine Handgelenke. Sie pochten und schmerzten ihn. Er lauschte, jedoch ohne Ergebnis. Kein Schnarchen von Dareck. Keine Geräusche des Waldes, die er durch das offene Fenster beim Einschlafen noch vernommen hatte. Er fühlte sich unbehaglich und unsicher. Marius war kein ängstlicher Mann, doch im Moment fühlte er sich hilflos. Er konnte nicht einmal den Kopf drehen, um sich einen Überblick der Umgebung zu verschaffen.
Plötzlich sah er ein schwaches rotes Leuchten weit über ihm. Das Leuchten wurde heller. Oder kam es nur näher? Er konnte auf einmal die Quelle ausmachen. Nicht eine, sondern gleich zwei. Zwei rot leuchtende Augen, die sich ihm näherten. Er wollte rufen, doch kein Laut verließ seine Kehle…


Dareck erwachte früh am nächsten Morgen. Er hatte schlecht geschlafen und auch noch eine ganze Weile wach auf seiner Matratze gelegen. Marius hatte bereits tief und ruhig geatmet, was normalerweise ein untrügliches Zeichen dafür war, dass er schlief, als auch endlich Dareck seinen Schlaf fand.
Nun richtete er sich auf und streckte sich. Sein Knie tat ihm noch immer etwas weh, doch war die Schwellung zurückgegangen. Syrill hatte ihn wirklich gut erwischt, dachte er.
„Wach auf, du Ochse. Du hast lange genug geschlafen.“
Doch von Marius kam keine Regung, während sich Dareck sein dunkles Wams überzog. Nachdem Dareck seine Stiefel angezogen hatte, trat er fest gegen Marius Schlafkoje.
„He Marius, es wird Zeit. Wir müssen die Tiere versorgen, auf dass wir endlich von hier weg kommen.“
Doch noch immer kam keine Reaktion. Dareck, der den tiefen Schlaf von Marius gewohnt war, griff nach einem halbvollen Krug Wasser, der neben seiner eigenen Koje stand und schüttete dieses kurzerhand Marius ins Gesicht. Die Erwartung von seinem prustenden und sich wie immer, wenn dies geschah, aufregenden Gefährten wurde nicht erfüllt.
„Marius?“ Dareck war nun unwohl zumute. Er rüttelte an den Schultern des kräftigen Mannes und tastete anschließend voller Sorge nach dessen Herzschlag. Erleichtert konnte er diesen spüren. Auch der gewaltige Brustkorb des regungslosen Mannes hob und senkte sich leicht unter seinem Atem, wie er nun feststellte. Doch als Dareck Marius Lider hochzog, konnte er nur das Weiße in dessen Augen erkennen.
„Bei Aschtars wachem Geist. Was geht hier nur vor sich?“, murmelte Dareck vor sich hin, wie er so über seinen Freund gebeugt dastand. „Haben sich denn alle Höllen gegen uns verschworen?“
Er suchte eine Reaktion in Marius Gesicht. Irgendetwas, das ihm einen Hinweis auf dessen Zustand geben könnte. Dareck hatte schon Menschen im Delirium und Ähnlichem gesehen, doch Marius wirkte mehr tot, denn lebendig.
Unerwartet begannen Marius Augen wild zu flackern. Die Pupillen zuckten wie im Wahn hin und her und plötzlich fing Marius an zu schreien. Erschrocken wich Dareck zurück. Der Schrei war laut und schien in tiefstem Entsetzen seinen Ursprung zu haben. Schlagartig richtete der große Mann sich auf. Den Blick nun starr gerade aus und noch immer aus tiefster Kehle schreiend. Seine Haut war urplötzlich gerötet, als wenn er zu lange in der Sonne gewesen wäre.
Dann verstummte er.
Dareck stand noch immer da und wusste nicht was er tun sollte. Er sah wie die gerötete Haut an manchen Stellen Blasen gebildet hatte. Blasen, wie man sie durch große Hitzeeinwirkung bekommt.
„Marius?“, versuchte er es erneut.
„Was… was ist geschehen? War es ein Traum? Bin ich am Leben?“ Marius sah ihn nun schwer atmend an.

Der nächste Teil folgt am Mittwoch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen