Mittwoch, 19. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 12 - Zwischenhalt

Die Gruppe hatte begonnen ihr Lager abzuschlagen. Die Pferde waren versorgt und bereits vor die Wagen gespannt. Alles wartete darauf, dass Hastor das Kommando zur Abfahrt gab, doch dieser saß noch immer mit Dareck und Marius zusammen.
Marius wusste nicht mehr viel, was mit ihm geschehen war. Alles, was er noch zusammenbrachte, waren die Finsternis, die glühenden Augen und dass er auf einmal in Flammen stand. Zu keiner Bewegung fähig und hilflos gewesen, hatte er die ganzen Qualen erlebt, wie sich ihm die Haut vom Fleisch schälte. Sogar den sengenden Geruch des Rauchs und die Atemlosigkeit, durch die ihn umhüllenden Flammen hatten sich lebhaft in seinen Geist eingebrannt. Keiner wusste sich zu erklären, wie es geschehen konnte, dass auf seiner Haut tatsächlich Brandblasen zu finden waren. Am Schlimmsten waren seine Handgelenke betroffen, die bereits zuvor übel zugerichtet waren. Doch nun konnte er nur unter starken Schmerzen seine Hände bewegen.
Helmine befand sich derzeit bei Chester, bei dem noch keine Besserung festzustellen war. Schlimmes Fieber hatte in der Nacht Besitz von ihm ergriffen.
Melton und Syrill waren bei ihr und halfen mit nassen Bandagen die Temperatur des kleinen Mannes zu senken.
Schließlich brachen sie auf. Die nächste Siedlung lag etwa eine Tagesreise entfernt und man hoffte, dort einen Heiler zu finden. Doch trotz zügiger Fahrt und ohne weitere Zwischenfälle war es für Chester zu spät. Er erlag am späten Nachmittag seinen Verletzungen. Sein älterer Bruder Willy und auch die restliche Gruppe waren schwer getroffen. Alle hatten den lustigen Mann sehr gemocht. Chester war zuvor nicht ein einziges Mal aus seinem tiefen Koma erwacht.

„Wie geht es Willy?“, fragte Hastor, als sie am Abend, ein kleines Dörfchen erreichten, dessen Namen sie nicht einmal kannten. Den Wald hatten sie noch nicht lange hinter sich gelassen, und ohne ihr übliches Getöse, mit dem sie sich normalerweise in den Ortschaften ankündigten, hatten sie sich einfach am Rand der Siedlung eine geeignete Stelle für ihr Lager gesucht. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Einwohner auftauchten. Hauptsächlich Kinder, aber auch Ältere begutachteten die Ankömmlinge.
„Nicht gut.“, antwortete ihm Dareck, der neben Hastor kniete und gerade Holzkeile unter die Räder seines Wagens schob, um ihn an dem leicht abschüssigen Platz zu sichern. Vorsichtig stand er auf. Er wollte sein Bein noch etwas schonen, doch eigentlich hatte er keine Beschwerden mehr. „Der Punkt ist auch einfach, dass wir nicht einmal wirklich den Grund wissen, weshalb Chester sterben musste. Einen versuchten Diebstahl können wir wohl ausschließen und ehrlich gesagt, habe ich nicht einmal eine Vermutung, über die wahren Gründe.“
„Du vergisst Olinga, Dareck.“
„Nein, tue ich nicht. Aber die Frage ist doch, was jemand so Gefährliches von einem alten Kräuterweib, die allein im Wald lebt, will.“
Hastor wollte gerade etwas entgegnen, als ein älterer Mann zu ihnen trat.
„Ich grüße euch und willkommen in unserem kleinen Dorf.“ Der Mann hatte ein freundliches Gesicht und trug einfache Kleidung, wie sie auf dem Feld üblich war. „Ihr seid Hastor? Ein Junge sagte mir, dass dies eure Gruppe sei.“
„Das ist richtig. Ich bin Hastor und dies ist Meister Hastors fahrendes Theater. Ihr seid…?“ Hastor hatte sich ihm zugewandt und leicht verbeugt.
„Mein Name ist Juron. Ich stehe unserem kleinen Rat vor, den wir hier haben und in dieser Funktion möchte ich euch begrüßen.“ Auch er verbeugte sich leicht.
„Nun denn, Juron. Ich hoffe, dass euch unser kleiner Aufenthalt hier nicht stört. Wir sind nur auf der Durchreise und auf dem Weg nach Weißenburg.“
Weißenburg war die nächstgrößere Stadt und die Gruppe hatte sich dort ein paar Vorstellungen und spendierfreudiges Publikum mit dicken Geldbörsen erhofft.
„Nein, natürlich nicht. Aber sagt, wollt ihr uns nicht auch ein wenig Unterhaltung bieten? Es waren schon länger keine Spielleute mehr hier.“
Hastor war unschlüssig und sah nachdenklich Dareck an. Er wusste nicht, ob er eine so baldige Vorstellung seinen Leuten zumuten wollte, nach den letzten Ereignissen. Doch der Messerwerfer zuckte nur mit den Schulter und machte ein ebenso ratloses Gesicht.
„Ihr müsst wissen Juron, dass wir heute einen schweren Verlust zu beklagen haben. Einer unserer Männer ist auf dem Weg hierher verstorben und noch nicht einmal bestattet.“
„Oh, das tut mir natürlich leid. Wollt ihr dies vielleicht hier tun? Wir haben einen Priester Aschtars unter uns, der sicherlich gerne die Trauerfeier abhalten würde. Ihr seid doch Aschtar wohl gesonnen, oder?“
Für Hastor war einer der vier Götter, die hier öffentlich verehrt wurden so gut wie der andere. Er hatte sich nie festgelegt und betete in der Regel zu dem, der gerade der Situation angemessen war – sofern er überhaupt betete. Doch gab es in der Zwischenzeit immer mehr Menschen, die sich nur noch einem der vier Brüder verschrieben und von den anderen nichts mehr wissen wollten. Es wunderte Hastor nicht, dass man hier Aschtar zugetan war. Aschtar war unter anderem der Gott der Erde und daher der Schutzpatron der Bauern.
„Natürlich und habt Dank für dieses Angebot. Aber diese Entscheidung obliegt nicht mir, sondern dem Bruder des Verstorbenen. Ich werde mit ihm darüber sprechen.“
„Tut das und dann kommt später in mein Haus zum Essen. Ihr und eure Familie seid hiermit herzlich eingeladen. Es interessiert mich, was sonst so im Lande vor sich geht und ihr könnt sicherlich Einiges berichten.“
Hastor nahm an und nachdem Juron ihm den Weg zu seinem Haus beschrieben und sich verabschiedete hatte, berichtete Hastor seiner Frau und natürlich auch Willy von dem Gespräch.

„Nein, ihr kommt beide mit!“ Hastor duldete keine Widerrede, als er mit seinen Söhnen sprach. „Wir wurden als Familie eingeladen und da habt ihr diesmal beide dabei zu sein. Geht euch waschen. Im Dorf ist ein Brunnen und lasst es euch nicht einfallen wieder zu trödeln.“
Syrill und Melton waren nicht begeistert. Sie mochten solch förmliche Abende überhaupt nicht. Es geschah des Öfteren, dass Hastor als Anführer der Gruppe, die ja immerhin auch seinen Namen trug, zu besonderen Anlässen eingeladen wurde. Meist war dies mit Geschäften verbunden, oder daraus entstanden, da das Theater auch immer wieder fest gebucht wurde. Sie spielten zwar die meiste Zeit auf öffentlichen Märkten, doch der Ruf der Gruppe war gut und so riefen sie auch hin und wieder gut Betuchte und selbst Adlige zu ihren Festen.
Es kam wirklich nicht oft vor, dass Syrill und Melton bei solch einem Treffen zugegen waren, doch machte Syrill trotzdem, nachdem sie ein paar Schritte vom Wagen entfernt waren, seinem Unmut Luft. „Mist. Wieder so ein blöder Abend am Tisch von irgend so einem eingebildeten Fatzke.“
„Ach jetzt hab dich nicht so. Das hier ist ein kleines Dorf und sicher nicht mit dem dicken Kahlkopf zu vergleichen.“
Melton spielte auf einen sehr reichen Tuchhändler aus Raalfurt an, bei dem sie schon mehrmals zu größeren Festen aufgespielt hatten. Seit der Hochzeit des dicken Mannes, mit einer noch dickeren Dame des niederen verarmten Adels, lud er stets Hastor mitsamt Familie zu sich ein, wenn sie wieder in der Stadt waren. Hastor hatte mit einem kleinen Mittelchen, das er extra mitbrachte für eine gelungene Hochzeitsnacht gesorgt. Nach dem vielen Wein, der in dieser Nacht floss, war das Pulver auch bitter nötig. Viele böse Scherze wurden an diesem Abend von der Hochzeitsgesellschaft darüber gemacht, ob der frisch gebackene Ehemann sich die Braut erst noch schön trinken musste. Noch bösartigere Scherzbolde sprachen gar davon, dass dem Ehemann der junge Priester, welcher die Trauung vollzog, ohnehin lieber gewesen wäre. Nun ja, eine gewisse Neigung für hübsche Männer war dem Händler tatsächlich nicht abzusprechen. Doch von all dem wussten die Jungen natürlich nichts.
Trotz der aufmunternden Worte von seinen Bruder, war Syrills Begeisterung für den bevorstehenden Abend noch immer mehr als gedämpft. Er hoffte, dass das Essen schnell vorbei sein würde und er sich danach etwas zurückziehen konnte. Seine Gedanken waren noch immer voller Trauer bei Chester.

Den nächsten Teil findet ihr am Wochenende hier.

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