Freitag, 7. Oktober 2011

1. Kapitel Teil 9 - Panik

Dareck stand bei einem der Pferde und legte diesem beruhigend seine Hand auf die Flanke.
„Psst. Ganz ruhig. Was hat euch nur so in Aufregung versetzt?“, flüsterte der Messerwerfer beruhigend dem Tier zu, als ob es ihm Antwort geben könne. Sorgsam blickte er sich immer wieder um, doch hier im Dunkel des Waldes konnte auch er so gut wie nichts erkennen.
‚Wo ist nur Chester?’, fragte er sich besorgt. Er beschloss, einmal die eingezäunten Tiere zu umrunden und dann die übrigen Schausteller zu verständigen. Langsam schritt er um den Platz der Pferde und ließ sich dabei von dem Netz leiten, das als provisorischer Zaun diente. Er hatte seinen Weg noch nicht einmal halb vollendet, als er über eine große Wurzel schritt und dabei auf etwas zugleich Weiches wie Hartes trat.
Sofort beugte er sich nieder und ertastete mehr, als dass er es sah, einen leblosen Körper. ‚Verdammt!’, schoss es ihm durch den Kopf, die Kleidung war von einer warmen dicken Flüssigkeit durchtränkt. Dareck hob seine Hand in das schwache Mondlicht, das nur an wenigen Stellen die dichten Wipfel durchdrang. Er konnte eindeutig die dunkle Farbe erkennen. Nun musste er Gewissheit haben. Er hoffte inständig, dass es sich vor ihm nicht um Chester handelte. Er mochte die beiden kleinwüchsigen Brüder; sie spielten oft Karten zusammen.
Er zog an dem Körper, um ihn zu einer etwas helleren Stellen zu bewegen und bemerkte dabei schon das geringe Gewicht. Als er endlich den Schatten des großen Baumes überwunden hatte, sah er seine Befürchtung endgültig bestätigt.
Vor ihm lag Chester, dessen Oberkörper voller Blut war. Dareck öffnete das vormals helle Hemd und konnte darunter eine tiefe Wunde in der Seite der Brust sehen, aus der noch immer Blut floss. Die Wunde schien, als wäre es nur ein einziger Stich mit einer schlanken Waffe gewesen. Dareck war verwirrt, da er keinerlei Lärm oder Alarmrufe vernommen hatte. Eine solche Verletzung tötete normalerweise nicht sofort und wurde nie zugebracht, ohne dass man vor Schmerz aufschrie. Mehr der Gewissheit wegen, denn mit Hoffnung, tastete er nun nach dem Herzschlag. Er konnte es kaum glauben, als er tatsächlich etwas spürte.
Nun handelte er schnell. Er zog eines seiner Messer, die er immer bei sich trug und trennte den Ärmel von Chesters Hemd. Diesen stopfte er nun rücksichtslos in die Wunde. Er wusste, dass er die Blutung stoppen musste, wenn Chester noch eine Chance haben sollte. Während er dies tat, besann er hektisch seine Möglichkeiten. Hier standen die Chancen schlecht für den kleinen Mann. Er war stark versucht, einfach um Hilfe zu rufen, doch wollte er den oder die Angreifer nicht auf sich aufmerksam machen. Auch musste er an den Jungen denken, den er am Rand des Waldes zurückgelassen hatte. Innerlich seine Anweisung an Syrill verdammend, musste er nun eine Entscheidung treffen.

Noch immer verharrte der Junge bewegungslos am Boden. Die Gestalt mit den leuchtenden Augen schien ihn nicht bemerkt zu haben, da sie sich wieder umgedreht hatte und weiter das Lager beobachtete. Keine zwanzig Schritt hinter ihr kauerte Syrill und wagte noch nicht einmal zu atmen. Seine Angst schnürte ihm die Kehle zu und er wusste nicht, was er tun sollte. Innerlich rang er mit sich selbst. Ein Teil voller Panik wollte aufspringen und einfach weglaufen, tiefer in den Wald hinein, nur weg von diesen bösartigen, leuchtenden Augen. Der vernünftige Teil – nicht minder voller Angst – riet ihm, es wieder einmal einfach auszusitzen und auf sein Glück zu vertrauen.
Die Entscheidung wurde ihm abgenommen, als die Gestalt plötzlich auf die Lichtung trat, von Syrill fort und auf die Wagen zu. Der Junge sog tief die Luft ein, doch wagte er noch immer nicht sich aufzurichten. Mehrere Momente verstrichen, bevor ein Knacken fast direkt neben ihm, ihn erneut zusammenfahren ließ.
Seine Panik erfuhr eine weitere Steigerung. Nun konnte er nicht mehr anders. Er verlor völlig die Kontrolle, sprang auf und rannte los. Er kam nicht weit, da jemand, kaum, dass er auf den Beinen war, seinen Arm fest packte und somit jegliche Flucht zunichte machte. Eine Hand tastete nach seinem Mund und versuchte ihn am schreien zu hindern, doch der Junge biss einfach, so fest er konnte zu. Die Panik ließ ihn nur noch reagieren. Er wusste nicht was er tat, konnte nicht wirklich denken. Er hörte nichts, sah nichts. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte fing Syrill an, um sich zu schlagen und zu treten.
Plötzlich, war er frei und fand auch endlich seine Stimme wieder. Laut „Hilfe!“ und „Aufwachen!“ brüllend, rannte er einfach auf die Lichtung. Er wusste nicht, ob er verfolgt wurde, es war ihm auch egal. Er schrie einfach weiter und lief direkt auf den Wagen seiner Familie zu.

Dareck fluchte. Der Junge musste ihm die Hand blutig gebissen haben. Fast ebenso erschrocken wie Syrill, war es reines Glück gewesen, dass er ihn zu fassen bekommen hatte, als der Junge neben ihm so plötzlich hochschoss. Leise hatte er auf den panischen Jungen eingeredet, doch schienen seine Worte Syrill nicht erreicht zu haben. Ein ungünstiger Tritt des Jungen traf schließlich Darecks Knie. Der Schmerz lockerte den Griff und dem Jungen gelang es, sich los zu reißen. Dareck sprang ihm hinter her.
Auch er hatte zuvor die Gestalt am Rande des Waldes erspähen können und beobachtet wie diese auf die Lichtung trat.
Der Versuch, den Schmerz in seinem Knie zu ignorieren war nicht sonderlich erfolgreich und Syrill war schnell. Dareck humpelte dem Jungen so zügig es ging hinterher, doch dieser lief einfach schreiend weiter.

Jäh wurde Syrills Flucht unterbrochen. Er bog gerade um die Ecke eines Wagens, als er direkt in die Arme eines hämisch grinsenden Mannes rannte. Seine Rufe blieben ihm im Hals stecken, als erneut seine Stimme versagte. Augen, so rot wie glühender Stahl, schienen Syrill direkt in die Seele zu blicken. Das Gesicht, das er nun deutlich vor sich hatte, war schmal und hager. Eine Nase, die den Eindruck eines Raubvogels erweckte, ließ den Mann noch bedrohlicher erscheinen. Syrill war gebannt und wie versteinert.
Irgendwie realisierte er, dass im Wagen neben ihm Licht anging. Irgendjemanden musste er mit seinen Schreien geweckt haben, doch war Syrill zu sehr in diesen roten Augen gefangen, um erneut auf sich aufmerksam zu machen. Fast schien es dem Jungen, als könne er etwas in diesen feurigen Pupillen erkennen. Etwas, das tobte und nicht zu bezwingen war.
„Du warst sehr laut, Junge. Willst du etwa dein Leben heute Nacht verlieren?“, zischte der Mann leise mit einer Stimme, die unmissverständlich klar machte, dass er meinte was er sagte. Syrill schüttelte zögerlich den Kopf, den Blick noch immer nicht von diesen Augen befreien könnend.
„Weißt du, was ich hier will? Wen ich suche?“ Wieder wollte Syrill den Kopf schütteln, doch konnte er es nicht. Fast unmerklich nickte er zur Bestätigung.
Aus dem Wagen kamen nun zusätzlich zum Licht auch noch Geräusche, doch schien dies den finsteren Besucher nicht zu stören.
„Was denkst du, warum ich hier bin? Vielleicht bin ich ja deinetwegen hier. Vielleicht bin ich gekommen um einen kleinen Jungen zu besuchen… und vielleicht sogar, um ihn mit mir zu nehmen.“ Bei diesen Worten verzogen sich die schmalen Lippen zu einem gemeinen Grinsen. Nicht einmal bei Xarabos hatte Syrill bisher einen solch wahrhaft bösen Ausdruck gesehen. Er spürte, wie ihm schwindlig wurde und er das Gefühl bekam, seine Umbebung würde verschwimmen. Nur das Gesicht mit den Augen blieb deutlich und scharf.
Scheinbar um noch mehr Angst bei dem Jungen zu schüren, setzte der Mann gerade zu einer weiteren Bemerkung an, als die Tür des Wagens neben ihnen aufging und eine tiefe Stimme fragte: „Was ist denn hier los?“

Wie es weitergeht erfahrt ihr am Mittwoch.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen