Sonntag, 6. November 2011

2. Kapitel Teil 3 - Zu Gast bei Alef

Die Turmgasse hatte ihren Namen vom höchsten Gebäude in der Stadt. Es war ein einfacher schlanker Turm, der hoch in den Himmel ragte. Tag und Nacht mit Wachen besetzt, hatte man von dort eine gute Übersicht über die Stadt und weit darüber hinaus, wenn es das Wetter zuließ. Direkt darunter lag ein weiteres Gebäude der Stadtwache mit einer kleinen Einheit Männer, die in einem Notfall sofort alarmiert werden konnte, ohne die ganze Stadt in Aufruhr zu versetzen. Sollte dies doch einmal nötig sein, befand sich in der Spitze des Turms eine gewaltige Glocke, die mit ihrem tiefen durchdringenden Klang weithin vernommen werden konnte. Doch selbst die ältesten Einwohner Weißenburgs konnten sich nicht erinnern, diese jemals gehört zu haben.
So kam es, dass viele regelmäßige Besucher von Alefs Wirtshaus, der Stadtwache angehörten.
Der Schankraum war gut gefüllt, wie so ziemlich alle Lokale in denen man etwas essen und trinken konnte. Der Duft von Alefs berühmtem Kartoffeleintopf lag in der Luft und Kelor sog ihn tief ein. Sofort kam ihm wieder der stinkende Zwerg in den Sinn, wegen dem er nun eigentlich hier war, doch er konnte diesen nirgendwo entdecken. Der junge Mann schlängelte sich an den Schankmädchen vorbei, die mit schwer beladenen Tabletts ihre Gäste versorgten. An einem der größeren Tische saßen fünf Kameraden von ihm, die sein Ziel waren.
„Kelor, das wird aber auch Zeit. Wir wollten schon ohne dich anfangen.“ Ein etwas stämmigerer Mann mit einem runden Gesicht griff nach einem Kartenspiel, das neben ihm auf dem Tisch lag. „Setz dich. Essen kannst du später. Jungs, macht mal Platz.“
Kelor wusste, warum sie so auf seine Anwesenheit erpicht waren. Die letzten drei Abende, an denen er am Kartenspiel teilgenommen hatte, waren nicht sehr erfolgreich für ihn verlaufen und er hatte nur deshalb einem weiteren Spiel zugestimmt, weil er hoffte, so etwas von seinem Verlust wieder wett zu machen. Im Endeffekt war es aber vielleicht besser so, dachte er sich, als er statt auf dem angebotenen Stuhl Platz zu nehmen, stehen blieb.
„Heute nicht. Chrasinius hat mich mit einer wichtigen Sonderaufgabe betraut.“
„Was?“ Erst überrascht, verzog sich dann das runde Gesicht mit einem lauten Lachen, in das die Übrigen am Tisch einfielen. „Von was für einer Sonderaufgabe faselst du? Sollst du Chrasinius etwas Eintopf bringen?“ Erneut gab es schallendes Gelächter. „Mach dich nicht lächerlich und setz dich endlich.“
Als sich Kelor jedoch noch immer weigerte, bemerkte das dicke Gesicht, dass er es ernst meinte.
Nachdem er von den Ereignissen am Stadttor und bei seinem Hauptmann berichtet hatte, brachte ihn dies jedoch auch nicht weiter. Leider konnte sich niemand an solch einen Zwerg erinnern, was Kelor zu der Meinung brachte, dass er auch nicht hier gewesen sein konnte.
„Vielleicht haben wir ihn nur übersehen. Zwerge sind ja nicht sonderlich groß.“
„Nein, glaubt mir, der wäre euch aufgefallen.“
Und mit diesen Worten verabschiedete er sich erst einmal um den dicken Wirt aufzusuchen, der hinter der Theke stand.
„Grüß dich, Alef.“
„Ah, Kelor, magst du was essen? Ist nicht mehr viel da für Heut'. Die fressen mir hier noch die Haare vom Kopf. Werd’ für morgen wohl die doppelte Menge vorbereiten müssen.“
Der Wirt sprach, ohne Kelor dabei anzusehen, nachdem er ihn begrüßt hatte. Stadtdessen war er damit beschäftigt Bier in große Holzkrüge zu zapfen.
„Ja gern. Aber ich brauch auch noch ein paar Auskünfte.“ Kelor wollte gerade nach dem verrückten Zwerg fragen, als jemand neben ihn trat und ihn recht unsanft zur Seite drückte.
„Mach mal Platz Jungchen, hier hat jemand Durst. He, Wirt…“
Kelor drehte sich überrascht der kurzen Gestalt neben ihm zu. Den Kopf gerade hoch genug, dass er über die Theke schauen konnte, überragte dessen Horn auf dem Helm sogar den großen Alef. Und da war auch wieder der säuerliche Geruch, der dem Zwerg anhaftete; nur der Kadaver auf dem Rücken schien glücklicherweise in den Straßen abgefallen zu sein.
Als Kelor ihn so überrascht musterte, erkannte auch der Zottelbart den jungen Gardisten wieder.
„Aber du bist doch der Kerl, der mir den falschen Weg genannt hat. Von wegen Truhengasse, die gibt es hier gar nicht, in dieser vermaledeiten Stadt. Kannst von Glück reden, dass ich nicht nachtragend bin.“ Ein listiges Funkeln zeigte sich kurz in den schmalen Augen des Zwergs. „Das heißt, wenn du mir das nächste Bier ausgibst.“
Kelor war zu perplex, um etwas zu erwidern und schaute den Zwerg noch immer nur mit großen Augen an.
„Bestens. Wirt, du hast’s gehört. Zwei Mal Bier und Schnaps für mich und meinen Spender. Aber lass dir nicht einfallen uns so dünnes Zeug vor zu setzen.“
Alef überhörte die Beleidigung und begann zwei Humpen Bier zu zapfen. Kelor war in der Zwischenzeit zu dem Schluss gekommen, dass es wohl das Beste wäre, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, da er so wohl am einfachsten etwas über den Zwerg in Erfahrung bringen konnte. Besonders interessierte seinen Hauptmann, ob von dem Zwerg eine Gefahr für die Öffentlichkeit ausgehen könnte und in welchen Disziplinen er starten wollte, denn daran, dass er wegen der Teilnahme an einem der Wettkämpfe hier war, schien für Chrasinius keinerlei Zweifel zu bestehen.
Nachdem der Wirt auch noch zwei kleine Zinnbecher mit Schnaps neben die hohen Bierkrüge gestellt hatte, reichte der Zwerg jeweils eins der Getränke an Kelor.
„Ich bin übrigens Kosch, Erster der Felsenschmetter. Es reicht aber, wenn du Kosch zu mir sagst. Also, in einem Zug!“ Mit diesen Worten kippte Kosch erst das Bier herunter und lies sogleich den Schnaps folgen. Der Schaum hing ihm unter der Nase und das wenige übergeschwappte Bier rann ihm durch den Bart.
„Ah, das war ein guter Anfang. Wirt, dein Ale ist gut, aber der Schnaps zu lasch. Was haste noch?“
Kelor hatte mit großen Augen zugeschaut. Noch nie hatte er jemanden so schnell einen Humpen leeren sehen. Er besah sich seinen eigenen Krug, doch der war noch immer zur Hälfte voll.
„He Jungchen, du musst dich schon ranhalten, wenn wir gleichauf bleiben wollen.“
Doch das wollte Kelor nun gar nicht. Er erkannte sofort, dass dieser 'Erster der Felsenschmetter' in einer anderen Gewichtsklasse trank.
Der Zwerg hatte in der Zwischenzeit bereits die zweite Lage geleert und den nächsten Schnaps versucht, doch er beschwerte sich schon wieder über ‚das milde Wässerchen’, wie er es nannte.
Alef lachte. „Oho, da möchte wohl jemand meinen Drachenodem versuchen. Der geht dann vielleicht sogar aufs Haus.“ Mit diesen Worten verschwand der Wirt im Hinterzimmer.
„Na, das klingt doch gar nicht so übel. Weißte Jungchen, ich mag Drachen. Die hamm immer die dollsten Höhlen und schönsten Sachen dort. Man darf sie nur nicht wecken, wenn du verstehst was ich meine?“ Kosch zwinkerte Kelor dabei zu.
„Wie heißtn eigentlich? Bist nicht gerade der Gesprächigste, hm?“
Kelor wollte gerade antworten, als der Zwerg ihm erneut zuvor kam. „Ah, da kommt der Wirt mit seinem Drachenzeug. Wollen doch mal testen, was das so kann.“
Tatsächlich war Alef mit einer großen Glasflasche zurückgekehrt. Eine unscheinbare, klare Flüssigkeit befand sich darin.

Der nächste Teil folgt am Mittwoch.

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