Samstag, 27. August 2011

Prolog Teil 2 - Der Posten

Auf den Stufen im Inneren des Gebäudes stand eine Laterne bereit, die der Hauptmann zuvor selbst zurückgelassen hatte. Er drehte den Docht etwas weiter heraus und folgte, im Schein der Lampe den Treppen, die ihn nach oben führten, bis er schließlich das Dach erreichte.

Mit Bedacht wählte er seine Schritte, um nicht durch das baufällige Konstrukt zu stürzen, was die Balken unter ihm mit leisem Ächzen quittierten.
Zusätzlich behindert von Schnee und Eis, kam er nur zögerlich voran bis er schließlich auf die andere Seite der Dachschräge gelangte.
Überrascht hielt er inne. – Hier sollte eigentlich einer seiner Posten die Stellung halten.
Geschickt waren sie so verteilt, dass sie sämtliche umliegenden Straßenzüge überblicken konnten. Doch statt einen seiner Männer zu finden, gähnte nur ein großes Loch in dem morschen Gebälk. Er ahnte Schlimmes für seinen Mann.
So schnell er konnte, bewegte er sich zurück zur Dachluke und schlich dann unsicher, durch den ihm unbekannten Teil des Gebäudes. Irgendwo im unteren Stock musste das Zimmer sein, wo der Sturz sein Ende gefunden hatte. Er wusste, dass die Zeit für seinen Herrn drängte, doch das Verantwortungsgefühl für seine Männer nötigte den Hauptmann zu diesem Vorgehen. Er war nicht umsonst so geachtet bei seinen Untergebenen.

Endlich fand er eine Tür, die sich nur schwer bewegen ließ. Irgendetwas auf der anderen Seite blockierte sie. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen das Holz, doch erst nach etlichen Versuchen hatte er einen Spalt, groß genug geschaffen, sich hindurch zu zwängen.
Auf der anderen Seite empfing ihn Chaos. Zerstörtes Mobiliar mischte sich mit Schnee, Eis und Teilen der eingestürzten Decke. Durch das Loch über ihm, konnte er den bewölkten Himmel sehen, der schwach von der aufgehenden Sonne erhellt wurde.
Dann bewegte er sich weiter in den Raum hinein und ein leises Stöhnen ließ ihn aufhorchen. So schnell es der zerstörte Raum erlaubte, bewegte er sich auf die Stelle zu, aus der der Laut zu kommen schien.
Unter schweren Holzbalken eingeklemmt und von Schutt bedeckt, fand er schließlich seinen fehlenden Posten. Schlimm zugerichtet, aus etlichen Wunden blutend, lag er vor ihm.
Auf einem intakten Regal stellte der Hauptmann kurzerhand seine Lampe ab und kniete sich dann zu dem Verletzten. Der junge Mann war ihm bestens bekannt. Die meisten seiner Männer hatte der Hauptmann selbst ausgebildet; und dies war einer von ihnen.
“Nicht bewegen, Elor! Ich versuche dich zu befreien.”
Ein weiteres Stöhnen war alles, was er zur Antwort erhielt. Während er die ersten Teile beiseite wuchtete, redete er weiter auf Elor ein. Er konnte ihn nicht einfach so liegen lassen, nicht ohne zumindest versucht zu haben, ihn zu befreien.
“Wie bei allen Teufeln hast du das nur gemacht? Ihr wisst doch alle, wie baufällig die Dächer in diesem Drecksviertel sind.”
Das zersplitterte Gebälk riss ihm die Hände auf, während er Stück um Stück beiseite zerrte. So schnell er konnte, arbeitete er sich voran, immer wieder vom schmerzerfüllten Stöhnen seines verletzten Postens begleitet. Er hörte mehr, als dass er sah, wie der Atem Elors schneller und unregelmäßiger ging.
„Jetzt halt mir bloß durch! Wir haben es gleich geschafft.”
Ein plötzliches Geräusch ließ ihn herumfahren. Einen weiteren Einsturz befürchtend, drückte er sich instinktiv zurück an eine der Wände. – Doch es war kein Einsturz, der das Knacken verursacht hatte.

Ihm gegenüber in einer dunklen Ecke, konnte er zwei rot leuchtende Punkte ausmachen. Langsam schälte sich die zugehörige Gestalt aus den Schatten. Scheinbar hatte sie sich bereits die ganze Zeit in dem Raum aufgehalten. In einem dunklen Umhang, mit der Kapuze tief im Gesicht, sodass nur ein schmales, rot leuchtendes Augenpaar zu erkennen war, bewegte sich die Gestalt grazil über das Balkenwirrwarr auf den Hauptmann zu.
Mit einer Stimme, die vor Hohn troff, sprach diese: „Mit Verlaub, ich denke nicht, dass ihr es schafft.”
Plötzlich sah der Hauptmann Stahl aufblitzen und riss zur Antwort selbst seine Klinge hervor.
„Was soll das? Ich ermahne euch, haltet ein! Dieser Mann ist dem Tode nahe.”
Von einem kehligen Auflachen begleitet, bekam er zur Antwort: „Und wer denkt ihr, könnte dafür verantwortlich sein?”
Der jähe Angriff der Gestalt war mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Reine Reaktion bewahrte den erfahrenen Hauptmann vor einer schlimmen Verwundung.
Sein Gegner war schnell. Stahl traf Stahl. Selbst einen Schlag ausführend, der eher dazu gedacht war, sich mehr Platz zu verschaffen, konnte er sein Gegenüber nun besser ausmachen.
Die Gestalt maß gut sechseinhalb Fuß und schien recht schlank. Bewaffnet mit einem schmalen, kurzen Schwert war sein Gegner in diesem engen Areal im Vorteil. Unter dem dunklen Umhang konnte er eine ebenfalls dunkle Lederrüstung ausmachen.
Sich gegenseitig abschätzend, bewegten sich die beiden Kontrahenten um den Schutt herum.
Der Hauptmann sprang vor. Doch mit einer eleganten Drehung parierte sein Gegner, um sofort selbst nach dem Hauptmann zu schlagen. Dieser duckte sich rettend unter einen der Balken, den die kurze Klinge stattdessen traf.
Schnell nutzte der Hauptmann die Situation und trat gegen einen wackligen Holzschrank. Wie beabsichtigt fiel dieser genau seinem Gegner entgegen. Sofort sprang er selbst auf den nun liegenden Schrank und hieb von dort auf sein Gegenüber hinab.
Tatsächlich gelang dem Hauptmann damit die erste Wunde. Wenige fingerbreit drang sein Schwert in die linke Schulter, worauf er sofort nachsetzte. Mehrere schnelle Schläge ließ er niederprasseln, als plötzlich ein erneutes Stöhnen von Elor zu vernehmen war.
Auch sein Gegner schien dies gehört zu haben. Die Chance auf einen eigenen möglichen Treffer opfernd, wirbelte dieser herum und hechtete förmlich zu dem, am Boden liegenden Verwundeten.
Bedrohlich hielt die Gestalt ihre Klinge auf den Hals des jungen Mannes gerichtet und erhob erneut die heisere Stimme. „Ich rate euch, das Schwert niederzulegen, solltet ihr weiterhin so um das Wohlergehen dieses jungen Mannes besorgt sein.”
Verzweifelt erwiderte der Hauptmann, mehr um um Zeit zu ringen: „Was sollte euch dann davon abhalten, erst ihm und anschließend mir die Klinge in den Hals zu bohren?”
„Nun, da habt ihr wohl recht.”
Und mit einer kurzen, raschen Bewegung drang das schlanke Schwert, von einem gurgelnden Geräusch begleitet, in Elors Lunge. Mit weit aufgerissenen Augen und vergebens schluckend, verließ schnell und qualvoll den jungen Mann das Leben.
Ein lang gezogenes, „Nein!” war alles was der Hauptmann noch erwidern konnte. Den besudelten Stahl herausgerissen, stand die Gestalt mit den rot glimmenden Augen nun herausfordernd vor dem erregten Mann.
„Warum habt ihr das getan?” Die Stimme des Hauptmanns bebte, er hätte nicht gedacht, dass diese Nacht solch einen Verlauf nehmen könnte.
„Nun, ihr wisst sehr wohl warum. Wenn euch nicht das gleiche Schicksal ereilen soll, dann sagt mir, wo sich eure Schützlinge verstecken!”
Doch mit Zorn in den Augen, führte der Hauptmann statt einer Antwort, einen wütenden Angriff aus. Ohne auch nur dem Versuch einer Parade zu begegnen, drang sein Schwert tief in die Brust seines Gegenübers.
Die Gestalt im Umhang stand nur da, das eigene Schwert noch immer fest in der Hand. Ihre Augen leuchteten immer heller, so dass fast schon der ganze Raum in Rot erstrahlte, als plötzlich das Wesen in Flammen aufging.
Während der Hauptmann zurückwich, hörte er noch ein zischendes „Ich hätte euch für klüger gehalten.”
Vor seinen Augen platzte die Haut seines Gegners auf und offenbarte das bloße Fleisch. Die roten Augen, die seinen Blick gebannt hielten, zerflossen wie heißes Wachs. Ohne einen Laut des Schmerzes zerfiel der brennende Körper in Windeseile zu Asche und verteilte sich im Raum. Nur die beiden Schwerter blieben zurück und fielen dumpf zu Boden.
Stumm und sprachlos stand der Hauptmann da. Solch ein Wesen war ihm nie zuvor begegnet – und er hatte schon viel erlebt. Auch mit so genannter Magie hatte er es schon zu tun, aber das...? Besonders die Augen, die bis zum Schluss seinen Blick gefesselt hielten, hatten sich deutlich in seine Erinnerung gebrannt. Er schüttelte die Gedanken ab.
Ohne Hoffnung kniete er sich erneut zu Elor. Wie erwartet war dessen Leiden vorbei. Nachdem er dem jungen Mann die Augen geschlossen und ein stummes Gebet gesprochen hatte, richtete er sich müde auf. Es blieb keine Zeit mehr, einen der anderen Posten aufzusuchen.
Schnell trieb es ihn zurück auf die Straße. Mit größter Vorsicht und Sorgfalt folgte er dem Weg zurück zur Geburtsstätte. Er wusste, dass er sich auf keinen Fall verfolgen lassen durfte. Nur wenige Querstraßen von seinem Ziel entfernt, beschlich ihn ein ungutes Gefühl, was ihn dort erwarten könnte.

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