Sonntag, 17. Juni 2012

3. Kapitel Teil 10 - Unter Schock


Kosch schätzte das Alter auf vielleicht dreizehn Winter, er tat sich damit aber schon immer etwas schwer. Ihn dauerte jedoch, wie schwer gezeichnet dieser arme Junge, neben dem toten Körper des Mädchens in deren vergossenem Blut lag und leise, aber scheinbar noch immer apathisch schluchzte. Kosch versuchte es noch einmal mit ruhiger Stimme, doch er kam nicht durch. Vorsichtig griff er dem Jungen an die Schultern und wollte ihn sanft umdrehen, nachdem er seinen Hammer neben sich auf den Boden gelegt hatte. Erst bot er keinerlei Widerstand, doch als dessen Blick das Gesicht des Zwerges fand, stieß er einen schrillen Schrei aus und warf sich nach hinten. Kosch wurde davon überrascht. Er hatte zwar auf eine Reaktion gehofft, aber sicher nicht auf eine solche. Er versuchte das Bein des Jungen zu fassen, doch der robbte panisch rückwärts, bis er die Wand erreichte und dort verharrte.
„Narrengold und Hammerbruch. Ich will dir doch nur helfen.“, brummte Kosch. „Schau, der Mann ist tot.“ Doch der Blick des Jungen blieb auf ihn gerichtet und folgte nicht seiner ausgestreckten Hand, mit der er auf den leblosen Körper an der Wand zeigte. Kosch machte noch einmal einen Schritt auf den Jungen zu, doch dieser riss nur angsterfüllt die Augen auf.
Zu Koschs großer Erleichterung betrat in diesem Moment Gramil den Raum, zusammen mit Shaban, dem Mann mit der singenden Stimme, der Kosch hereingelassen hatte. Gramil hatte ihn geholt, nachdem sie eilig Kosch zum Zimmer Selinas geführt hatte.
„Oh nein, mein Täubchen.“ stieß Shaban erschrocken aus und hielt sich dann die Hand vor den Mund, während sich seine Augen mit Tränen füllten.
Gramil schien ebenfalls sehr erschrocken, doch fasste sie sich schneller wieder. „Kosch, geht es dir gut?“
„Jaaa, mir schon. Aber dem da nicht.“ und zeigte dabei auf Syrill.
Gramil, blickte sich um und sah jetzt erst Syl an der Wand kauern und wimmern.
„Oh, ich wusste doch gleich, dass es Ärger bedeuten würde, den Jungen herein zu tragen. Hätte sie doch nur auf mich gehört.“, jammerte Shaban, was ihm einen düsteren Blick von Kosch einbrachte.
Gramil, die sich erst noch versicherte, dass Selina tatsächlich keiner Hilfe mehr bedurfte, gab dann in gewohnter Weise Anweisungen. „Shaban, hör auf zu greinen und hilf Kosch mit dem Überzug da, Selina zu bedecken.“ Dann wandte sie sich Syrill zu.
„Hallo Kleiner. Hörst du mich?“ Sie kam einen Schritt auf ihn zu, doch er reagierte nicht. Also ging sie noch näher, bis sie sich vor ihn hin knien konnte.
„Kleiner?“ Sie führte ihre Hand vor seinen Augen von einer Seite zur anderen, doch er zeigte noch immer keine Regung.

Syrill war fern von allem, was gerade in dem Raum vor sich ging. Die Ereignisse der letzten Tage hatten ihn nun schlussendlich doch noch überfordert. Zwei Mal in kürzester Zeit, war er nur knapp seinem Ende entgangen. Menschen die er kannte, hatten dafür in seiner unmittelbaren Umgebung den Tod gefunden und er wusste noch immer nicht weswegen. Auch der Verbleib seines Bruders Mel und ihres Vaters war ihm unbekannt. Ging es ihnen gut? Gab es noch mehr Männer auf den Dächern?
Das Gesicht des Mannes kam ihm da wieder vor Augen, beziehungsweise zumindest dessen Blicke. Einmal die Teilnahmslosigkeit und Belustigung, als das Mädchen Selina durch ihn, ihren kaltblütigen Tod fand, sowie das merkwürdige Bedauern, als er schließlich mit der selben Absicht auf Syrill zukam.
Der Junge versuchte, die immer wieder aufsteigende Panik niederzuringen, doch sah er nur den Mann mit dem Messer auf sich zu gehen, während er den Geruch Selinas wahrnahm. Dieser zuvor so anregende Duft, der sich nun so penetrant mit den Ausdünstungen ihres Blutes vermischte. Syrill wurde schlecht. Dann blitzte plötzlich ein anderes Bild in seine Gedanken. Die furchterregende Vision eines Tiermenschen oder wie auch sonst gearteten Monsters, mit wildem rotem Fell und einem einzelnen gewaltigen Horn auf dem Kopf. Doch dieses Bild verblasste sofort wieder und er fand sich hilflos vor dem Mann mit dem Messer. Der Mann, dessen Augen plötzlich begannen leicht zu glimmen, wie kleine, längst erloschene Kohlestückchen, die der Wind aufs Neue entfachte. Mit der zunehmenden Intensität des Rots änderte sich auch das restliche Antlitz. Die Haut wurde aschfahl, die Nase schmal und raubvogelähnlich, ganz dem Schnabel eine Habichts gleich. Das Gesicht zeigte nun auch keinerlei Bedauern mehr, sondern nur ein unsagbar böses und überlegenes Lächeln.
Syrill hatte das Gefühl zu fallen, immer tiefer, bis ihn die bodenlose Schwärze schließlich verschluckte.

Das war jetzt eventuell nicht unbedingt der längste Teil, den ihr bisher von mir gelesen habt, aber der Cut passte an der Stelle einfach sehr gut. Der nächste Teil wird dann auch wieder länger. Versprochen.

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