Sonntag, 26. Februar 2012

3. Kapitel Teil 4 - Flucht in die Tiefe

In recht unscheinbare Gewänder gekleidet und von ebensolcher Statur, schien es sich um einen Mann zu handeln, wie Syrill bei genauerer Betrachtung feststellte. Was dieser dort allerdings gerade tat, war dem Jungen schleierhaft. Er überlegte, ob er sich bemerkbar machen sollte, doch das Verhalten des Mannes schien ihm doch zu merkwürdig. Es wirkte, als würde dieser schon länger dort am Dachfirst liegen und dabei bestrebt sein, nicht von der Straße aus, gesehen zu werden. Syrill überlegte – um an die Lampionketten heran zu kommen, musste er das Dach überqueren und dabei zwangsläufig die Aufmerksamkeit des seltsamen Mannes erregen. Er wollte sich gerade schon auf den Weg machen, als er plötzlich sah, wie der Mann etwas in Händen hielt – ein gut armlanges, dünnes Rohr, das er an seine Lippen führte. Syrill wusste, dass es sich dabei wohl kaum um eine Flöte handelte. Er sah zwar nicht, wie der schmale Pfeil das Rohr verließ, doch musste er das auch nicht, als weitere Schreie von der Straße, zu ihnen herauf schallten. Irgendwie wusste Syrill in dem Moment, dass dieser Mann für die entstandene Panik mit verantwortlich war, wenn sich ihm auch die Gründe dafür entzogen.
Syrill suchte Schutz hinter dem Schornstein, der zuvor bereits die Sicht verdeckt hatte, doch hatte er seine angeschlagene Rippe vergessen. Der stechende Schmerz lies ihn kurz, aber laut aufstöhnen.
'Nur das nicht.', durchfuhr es ihn. Der Junge betete, dass der Mann ihn bei dem Trubel nicht gehört hatte, als er sich mit dem Rücken eng an den Schornstein presste. Er versuchte seinen Atem zu beruhigen und sich zu beherrschen. Vier, fünf Herzschläge wartete er, dann lugte er um die Ecke des Kamins. - Und begegnete direkt dem Blick des Mannes auf der anderen Seite. Trotz der deutlichen Distanz, hatte er das Gefühl, als würden ihn dessen Augen fesseln. Das Gesicht wirkte ihm näher, als es eigentlich sein konnte. Nichts war darin außergewöhnlich, außer vielleicht den kalten Augen. Würde der Mann auf der Straße an einem vorbei gehen, hätte man ihn just in diesem Augenblick auch schon wieder vergessen. Syrill erkannte, dass genau das den Mann umso gefährlicher machte. Er hatte urplötzlich das Bild vor Augen, wie dieser dann völlig unerwartet, von hinten zuschlug und eine feine Klinge in sein wehrloses Opfer trieb.
Syrills Gegenüber rutschte langsam etwas vom Dachfirst zurück, scheinbar noch immer bedacht, sich nicht, von der Straße aus, entdecken zu lassen. Das Blasrohr hielt er dabei locker in der Hand, als er sich dann aufrichtete und ohne Eile auf Syrill zu kam.
Der zog den Kopf ein, holte noch einmal Luft, während er sich auf den Schmerz vorbereitete und stürzte sich dann nach vorne zur hohen Dachkante, an der er sich eben erst, ein gutes Stück weiter links nach oben gequält hatte.
Syrill hatte wieder die lähmende Panik aufsteigen gespürt, so wie erst vor wenigen Tagen. Doch dieses Mal wollte er sich nicht von ihr beherrschen lassen. Er schüttelte die Angst und den Schmerz ab, so gut er konnte und rollte sich über die Kante. Er wusste, was kommen würde, doch konnte er einen Schrei, beim harten Aufprall auf dem hier deutlich tiefer liegenden Dach nicht unterdrücken. Er war wieder auf dem Gebäude mit dem innen liegenden Garten. Schnell schleppte er sich weiter. Seinen nächsten Schritt hatte er nicht wirklich durchdacht, doch im Nachhinein betrachtet, war es wohl die einzig sinnvolle Alternative. In die Menge, zurück auf die Straße, kam nicht in Frage. Die tiefe Gasse, die ihn bereits eine Rippe gekostet hatte, ebenso wenig. So lenkte er seine Schritte zur Mitte des Gebäudes.
Als er den Rand des Daches erreicht hatte und der Garten unter ihm offen da lag, sah er noch einmal zurück. Hinter ihm, sich noch auf dem erhöhten Dach befindend, kniete der Mann und richtete gerade das Blasrohr auf den Jungen. Syrill sprang, während ein kleiner Pfeil dicht an ihm vorbei pfiff.
In eine Markise, die sich unter ihm befand, setzte er seine ganze Hoffnung.
Er spürte, wie sich der grobe Stoff unter ihm dehnte, als der Junge dort auftraf. Syrill hatte die Beine angezogen, um nicht zu spitz aufzukommen, genau so, wie er es normalerweise bei dem Sicherheitsnetz getan hatte, mit dem er seine Hochseilnummer zu Anfang noch geübt hatte. Doch es reichte nicht völlig. Sein Sturz wurde zwar gemildert und der Stoff blieb heil, doch dafür brach die gesamte Haltekonstruktion, mit der das Sonnensegel an der Wand befestigt war.
Syrill schlug durch und traf hart und schmerzvoll auf einen darunter stehenden Tisch, der ebenfalls der Wucht des Aufpralls nicht standhielt. Mitsamt den Tischtrümmern, der Markise und unter deren Holzrahmen begraben, blieb der Junge schließlich regungslos und stöhnend am Boden liegen. Dann verlor er das Bewusstsein.

* * *

Wie ihr seht, ergibt sich derzeit leider eher ein 14-Tages-Rythmus, was die Veröffentlichungen angeht. Ich bitte dabei um Nachsicht und versuche das Tempo auch wieder mehr anzuziehen. Bis das jedoch klappt, hoffe ich natürlich, dass ihr nicht völlig das Interesse verliert. ;-)

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