Sonntag, 11. März 2012

3. Kapitel Teil 5 - Der schwarze Bär

Die Menge war atemberaubend. Kelor stand mit ungläubigen Augen, auf seinem Posten am großen Platz und staunte. Er hatte noch nie so viele Menschen an einem Fleck gesehen. Hätte er die Anzahl der Besucher benennen müssen, so war er sich sicher, keinen Wert zu kennen, der hierfür groß genug gewesen wäre.
Es war ausnahmsweise einmal eine simple Aufgabe, die ihm zusammen mit einem noch recht betrunkenen Kameraden aufgetragen worden war. Zumindest empfand der junge Gardist selbst es so. Sie hatten einfach nur einen Seiteneingang des Ratsherrenhauses zu bewachen und dafür Sorge zu tragen, dass niemand Unwichtiges die Vorbereitungen und das anschließend stattfindende Geschehen störte. Sein Wachbruder schlief währenddessen an die Wand gelehnt halb im Stehen seinen Rausch weiter aus.
Ratsoberster Goldwien würde schon bald vom Balkon des zentral liegenden Gebäudes, seine Festrede halten und die Feierlichkeiten offiziell eröffnen. Schon eine Stunde später würden die ersten Wettkämpfe beginnen und in fünf Tagen sollten die Champions gekürt werden.
So sehr ihm das Fest auf den Straßen bisher auch gefiel, so konnte es Kelor doch kaum erwarten, wenn hier endlich wieder Ruhe einkehrte. Der eigentliche Trubel war dabei nicht das Störende für ihn und er genoss es sogar, wenn das einfache Volk sich dem Spaß hin gab. Viele Möglichkeiten zu einer solchen Ausgelassenheit hatten die meisten Bürger, die ihren Lebensunterhalt mit schwerster Arbeit bestritten, auch nicht gerade.
Was Kelor jedoch tatsächlich störte, waren die viel zu vielen 'hohen Gäste'. Auch jetzt waren solche in just dem Gebäude, dessen Eingang er vor 'ungebetenen' Besuchern bewahren sollte. Unmittelbar nach der Eröffnung würde hier ein erlesenes Bankett stattfinden. Scheinbar jeder, der irgendeinen namhaften Titel trug, oder genug Geld und somit Einfluss besaß, hatte sich auf den Weg nach Weißenburg gemacht. Kelor hatte sich in den letzten Tagen des Öfteren gefragt, ob mit einem Titel bei den Meisten, vielleicht wirklich unwillkürlich ein goldener Stecken im Arsch verbunden war – wie es unter den Gemeinen so schön hieß. Es hatte für ihn schon immer den Anschein, als ob das Gebaren, umso herablassender wurde, je höher der Stand war. Es überraschte ihn daher auch nicht, dass viele der Edelleute die Person ihnen gegenüber, gar nicht mehr wahrnahmen, sondern nur die Funktion und den darin enthaltenen Nutzen sahen. Eigentlich war er derzeit, sogar darum dankbar. Es hätte wohl auch einige unangenehme Auswirkungen gehabt, wenn er hier auf seine Vergangenheit angesprochen worden wäre. Kelors Stand unter seinen Kameraden war jetzt schon, als Frischling nicht der Beste. Auf weitere Komplikationen konnte er also verzichten. Nur eine ältere Baronin hatte ihn merkwürdig beäugt, als ob sie ihn kennen würde, doch am Ende machte es keinen Unterschied. Er trug die Uniform einer einfachen Stadtwache Weißenburgs und war somit weit unter ihrem Umgang.
Die Gäste waren nun schon vor einer kleinen Weile eingetroffen. Bei der Menge auf dem Platz, war es wohl auch eine weise Entscheidung, die Eingeladenen so früh her gebeten zu haben. Hier war zwar noch ein Durchkommen möglich, aber Kelor wollte nicht wissen, wie es auf den engeren Straßen der Stadt zuging. Doch nicht nur Personen von hohem Stand war die Ehre einer Einladung zuteil geworden, auch ein paar besondere Athleten waren zugegen. Champions von anderen Wettkämpfen, die zwar keine offiziellen Titel trugen, aber doch einen gewissen Ruhm erlangt hatten, wie auch ein paar kampferfahrene Soldaten, die von ihren jeweiligen Lehnsherren mitgebracht worden waren. Kelor vermutete, dass das ganze in einer Art Fleischbeschau enden würde, damit die hohen Damen und Herren ihre Wetten besser platzieren konnten.
„He, Wache. Öffne mir die Tür.“ Kelor drehte sich zu der barschen Stimme um. Ein großer Mann mit tiefschwarzem, öligem Haar und einem eben solchen Vollbart stand Kelor gegenüber. Der Mann überragte ihn um einen guten Kopf und trug eine tiefe Narbe auf der linken Gesichtshälfte, die von seinem Bart ausgespart blieb. Kelor vermutete, dass, was immer ihn dort getroffen hatte, die Wange komplett gespalten haben musste. Auch bei seiner Kleidung überwog die Farbe Schwarz in verschiedenen Nuancen. Goldene Stickereien auf seinem Wams boten den einzigen, wirklichen Kontrast und stellten einen doppelköpfigen Bären dar. Kelor kannte das Wappen und auch ohne dieses, hätte er wahrscheinlich erkannt, wer hier vor ihm stand. Der Ruf des Herren von Burg Bärenfels war legendär und seine Taten gleichermaßen ruhmreich, wie ruchlos. Auf dem Schlachtfeld ohne jede Gnade und stets siegreich, ging er ebenso im Bett zu Werke. Sein letztes, armes Eheweib sollte erst vor kurzem den Freitod durch einen Sprung vom Burgturm gewählt haben. Hatte ihre Ehe vielleicht auch ohne ihre Zustimmung begonnen, so war wenigstens deren Ende ihre eigene Entscheidung gewesen. Dies konnte nicht jede ihrer Vorgängerinnen von sich behaupten. So sangen es zumindest die Barden und Bänkelsänger in den Tavernen und auf den Straßen.
Kelor wusste darüber hinaus, dass Burg Bärenfels mit seinen Mannen als uneinnehmbar galt und als Bollwerk gegen die wilden Bergstämme und Riesen diente. Wer über den Pass aus dem Wolkengebirge im Nordwesten ins Tal wollte, musste die Burg passieren und dort seinen Wegzoll entrichten. Einen anderen Weg hinab gab es nicht, lies man die steilen Berghänge außer Acht. Dieser weit von jeglicher, weiteren Gerichtsbarkeit, abgeschlagene Standort war wohl mit ein Grund, weswegen sein Freiherr tun und lassen konnte, wie es ihm gefiel.
„Wer seid ihr, dass ihr hier so unverschämt Einlass begehrt?“, Kelor erschrak zutiefst bei dieser Frage seines Mitwachenden, den die Aufforderung des schwarzen Bären wohl geweckt hatte. Der Alkohol der letzten Nacht sprach eindeutig noch aus diesem, denn selbst ohne zu wissen, wer vor ihnen stand, hätte auf Grund der edlen Gewandung doch klar sein müssen, dass es sich nicht um jemanden Unwichtiges handelte.
Mit einer überraschenden Geschwindigkeit für einen so großen und breit gebauten Mann, griff der Bär brutal nach der Kehle des Gardisten und presste ihn an die Wand des Ratsgebäudes.
„Du kannst von Glück reden, dass ich meinen Felsenreißer zusammen mit meinem Pferd und meinem Knappen in diesen überfüllten Drecksstraßen zurück schicken musste. Sonst hätte ich dich jetzt deine eigenen Gedärme fressen lassen.“
Kelors Kamerad nahm dabei bereits eine gefährlich rote Gesichtsfarbe an.
„Entschuldigt bitte die Unwissenheit und Unachtsamkeit meines Wachgefährten Euer Hochwohlgeboren. Selbstverständlich ist dem Herren von Bärenfels sofort die Tür zu öffnen.“, beeilte sich Kelor zu sagen und war bereits dabei, dem nachzukommen.
Der schwarze Bär lies von dem armen Wachmann ab und dieser sank röchelnd, an der Wand zu Boden.
„Du kommst mit und bringst mich dahin, wo ich denke, dass die anderen hohen Herrschaften bereits am Fressen und Saufen sind!“, befahl der Freiherr im Vorbeigehen Kelor.
Dieser schaute noch einmal auf seinen Kameraden, der noch immer röchelnd am Boden lag.
„Wenn du dich nicht zu ihm gesellen willst, tust du besser was ich sage!“ Die Drohung war nicht nur den Worten zu entnehmen. Der am Boden liegende Gardist machte eine abwinkende Handbewegung und versuchte dann wieder auf die Beine zu kommen. Kelor nickte ihm zu und beeilte sich dann, den schwarzen Bären zu seinem Ziel zu bringen.

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