Kosch schätzte das Alter
auf vielleicht dreizehn Winter, er tat sich damit aber schon immer
etwas schwer. Ihn dauerte jedoch, wie schwer gezeichnet dieser arme
Junge, neben dem toten Körper des Mädchens in deren vergossenem
Blut lag und leise, aber scheinbar noch immer apathisch schluchzte.
Kosch versuchte es noch einmal mit ruhiger Stimme, doch er kam nicht
durch. Vorsichtig griff er dem Jungen an die Schultern und wollte ihn
sanft umdrehen, nachdem er seinen Hammer neben sich auf den Boden
gelegt hatte. Erst bot er keinerlei Widerstand, doch als dessen Blick
das Gesicht des Zwerges fand, stieß er einen schrillen Schrei aus
und warf sich nach hinten. Kosch wurde davon überrascht. Er hatte
zwar auf eine Reaktion gehofft, aber sicher nicht auf eine solche. Er
versuchte das Bein des Jungen zu fassen, doch der robbte panisch
rückwärts, bis er die Wand erreichte und dort verharrte.
„Narrengold und
Hammerbruch. Ich will dir doch nur helfen.“, brummte Kosch. „Schau,
der Mann ist tot.“ Doch der Blick des Jungen blieb auf ihn
gerichtet und folgte nicht seiner ausgestreckten Hand, mit der er auf
den leblosen Körper an der Wand zeigte. Kosch machte noch einmal
einen Schritt auf den Jungen zu, doch dieser riss nur angsterfüllt
die Augen auf.
Zu Koschs großer
Erleichterung betrat in diesem Moment Gramil den Raum, zusammen mit
Shaban, dem Mann mit der singenden Stimme, der Kosch hereingelassen
hatte. Gramil hatte ihn geholt, nachdem sie eilig Kosch zum Zimmer
Selinas geführt hatte.
„Oh nein, mein Täubchen.“
stieß Shaban erschrocken aus und hielt sich dann die Hand vor den
Mund, während sich seine Augen mit Tränen füllten.
Gramil schien ebenfalls sehr
erschrocken, doch fasste sie sich schneller wieder. „Kosch, geht es
dir gut?“
„Jaaa, mir schon. Aber dem
da nicht.“ und zeigte dabei auf Syrill.
Gramil, blickte sich um und
sah jetzt erst Syl an der Wand kauern und wimmern.
„Oh, ich wusste doch
gleich, dass es Ärger bedeuten würde, den Jungen herein zu tragen.
Hätte sie doch nur auf mich gehört.“, jammerte Shaban, was ihm
einen düsteren Blick von Kosch einbrachte.
Gramil, die sich erst noch
versicherte, dass Selina tatsächlich keiner Hilfe mehr bedurfte, gab
dann in gewohnter Weise Anweisungen. „Shaban, hör auf zu greinen
und hilf Kosch mit dem Überzug da, Selina zu bedecken.“ Dann
wandte sie sich Syrill zu.
„Hallo Kleiner. Hörst du
mich?“ Sie kam einen Schritt auf ihn zu, doch er reagierte nicht.
Also ging sie noch näher, bis sie sich vor ihn hin knien konnte.
„Kleiner?“ Sie führte
ihre Hand vor seinen Augen von einer Seite zur anderen, doch er
zeigte noch immer keine Regung.
Syrill war fern von allem,
was gerade in dem Raum vor sich ging. Die Ereignisse der letzten Tage
hatten ihn nun schlussendlich doch noch überfordert. Zwei Mal in
kürzester Zeit, war er nur knapp seinem Ende entgangen. Menschen
die er kannte, hatten dafür in seiner unmittelbaren Umgebung den Tod
gefunden und er wusste noch immer nicht weswegen. Auch der Verbleib
seines Bruders Mel und ihres Vaters war ihm unbekannt. Ging es ihnen
gut? Gab es noch mehr Männer auf den Dächern?
Das Gesicht des Mannes kam
ihm da wieder vor Augen, beziehungsweise zumindest dessen Blicke.
Einmal die Teilnahmslosigkeit und Belustigung, als das Mädchen
Selina durch ihn, ihren kaltblütigen Tod fand, sowie das merkwürdige
Bedauern, als er schließlich mit der selben Absicht auf Syrill
zukam.
Der Junge versuchte, die
immer wieder aufsteigende Panik niederzuringen, doch sah er nur den
Mann mit dem Messer auf sich zu gehen, während er den Geruch Selinas
wahrnahm. Dieser zuvor so anregende Duft, der sich nun so penetrant
mit den Ausdünstungen ihres Blutes vermischte. Syrill wurde
schlecht. Dann blitzte plötzlich ein anderes Bild in seine Gedanken.
Die furchterregende Vision eines Tiermenschen oder wie auch sonst
gearteten Monsters, mit wildem rotem Fell und einem einzelnen
gewaltigen Horn auf dem Kopf. Doch dieses Bild verblasste sofort
wieder und er fand sich hilflos vor dem Mann mit dem Messer. Der
Mann, dessen Augen plötzlich begannen leicht zu glimmen, wie kleine,
längst erloschene Kohlestückchen, die der Wind aufs Neue entfachte.
Mit der zunehmenden Intensität des Rots änderte sich auch das
restliche Antlitz. Die Haut wurde aschfahl, die Nase schmal und
raubvogelähnlich, ganz dem Schnabel eine Habichts gleich. Das
Gesicht zeigte nun auch keinerlei Bedauern mehr, sondern nur ein
unsagbar böses und überlegenes Lächeln.
Syrill hatte das Gefühl zu
fallen, immer tiefer, bis ihn die bodenlose Schwärze schließlich
verschluckte.
Das war jetzt eventuell nicht unbedingt der längste Teil, den ihr bisher von mir gelesen habt, aber der Cut passte an der Stelle einfach sehr gut. Der nächste Teil wird dann auch wieder länger. Versprochen.