Langsamen Schrittes kam der Mann auf
Syl zu, die widerwärtige Klinge direkt auf ihn gerichtet.
Erneut überschlugen sich die Gedanken
des Jungen, suchten fieberhaft nach einem Ausweg. Es gab nur das
Bett, auf dem er sich befand und den tödlichen Mann direkt vor ihm.
Alles außerhalb seiner Reichweite war wie ausgeblendet. Dann
schärfte sich sein Denken. Was hatte Selina vorhin neben der
Matratze gesucht? Vielleicht war dort eine Waffe versteckt, die sie
unbemerkt versucht hatte, zu erreichen. An diesem Gedanken fraß er
sich fest. So musste es sein. Ein Dolch oder gar ein Schwert. Damit
würde er sich retten können, war Syrill plötzlich überzeugt.
Beim nächsten Schritt des Mannes warf
er sich zum Fußende und griff zwischen Matratze und Bettgestell. Mit
dem stechenden Schmerz in seiner Seite kam auch die Klarheit zurück.
Selbst wenn dort ein Schwert versteckt wäre, hätte er sich wohl
kaum erfolgreich damit zur Wehr setzen können. Seine ganze Erfahrung
im Umgang mit Waffen beschränkte sich auf das Spiel mit Holzstöcken
und seinem Bruder. Dabei war er zwar stets der Siegreiche, wenn er
Melton nicht gerade gewinnen lies, doch das hier war etwas gänzlich
anderes.
Er sah den Mann für den Bruchteil
eines Moments in seiner Bewegung zögern, als Syls jäher Sprung
diesen scheinbar überrascht hatte. Doch sofort änderte sich dessen
Haltung. Statt der gelassenen und aufrechten Positur, nahm er
urplötzlich eine geduckte und gespannte Haltung ein. Syrill tastete
wie wild weiter, wenn sich die vorherige Zuversicht auch bereits
zerstreute. Er wollte schon aufgeben, als er tatsächlich etwas fand.
Er umfasste eine Art Griff und zog. Er zog mit all seiner Kraft, doch
er konnte, was immer er in Händen hielt, nicht befreien oder
losreißen. Voller Wut schrie er auf und zog erneut. Doch in dem
Moment hatte der Mann offensichtlich genug und hechtete auf Syl zu.
Der lies los und rollte zur Seite, als die Klinge des Mannes in die
Matratze fuhr. Syrill fiel dabei herunter und landete auf dem Boden,
was ihm erneut wilde Schmerzen einbrachte.
Dort auf dem Rücken liegend, sah er
den Mann plötzlich über sich stehen. Syrill zog beide Beine an und
trat mit aller Kraft in Richtung der Knie des Mannes. Doch dieses Mal
hatte er kein Glück, als sein Gegner geschickt zur Seite sprang.
Verzweifelt und hilflos robbte der Junge immer weiter zurück,
während die Lippen des Mannes wieder ein hässliches Lächeln
umspielte, als er sich erneut langsam näherte.
Da wurde Syrills Bewegung aufgehalten,
als er rücklings gegen etwas stieß. Er drehte den Kopf und sah in
die toten Augen Selinas. Er hatte den Eindruck, als würden die ihren
auch in seine blicken, um ihn dort, wo immer sie gerade war,
willkommen zu heißen.
Tränen trübten seinen Blick. Er
wollte nicht sterben. Nicht hier, nicht so und nicht, ohne zu wissen,
weswegen. Der Junge schluchzte verzweifelt auf und begann dann
flehentlich zu weinen: „Bitte. Nicht. Ich hab doch nichts getan.
Ich wollte Euch auch gar nicht dort sehen. Bitte. Ich weiß doch auch
gar nicht wer Ihr seid. Ich wollte nur den Menschen dort helfen.“
„Ich weiß. Aber es ist so wie es
ist.“ Syrill meinte tatsächlich so etwas wie Bedauern heraus zu
hören. Kein Lächeln war dieses Mal zu sehen. Die Miene des Mannes
war wie versteinert.
„Ich bin doch nur ein Junge.“,
entfuhr es Syrill noch, dann überkam ihn ein fürchterlicher
Heulkrampf, als sich der Mann mit der Klinge über ihn beugte und der
Junge zusammenbrach.
Syl sah es nicht, nahm es auch kaum
wahr, als plötzlich hinter ihm die Tür mit einem lauten Schlag
aufgestoßen wurde. Der Mann mit dem Messer jedoch schon.
„Was, bei allen Felsenschluchten und
Schmiedefeuern ist denn hier los?“, donnerte eine tiefe Stimme.
* * *
Kosch hatte es am gestrigen
Abend vorsichtiger angehen lassen. Es zwickte ihn zwar, die zu seinem
Widerwillen, doch recht angenehmen Erinnerungen an das kühle Bad,
nicht in den Nebel des Vergessens getrunken zu haben, doch ein Kampf
ist ein Kampf. Und gleich zwei im Rahmen des Wettkampfs standen heute
für ihn an. Er hatte sich von Kelor noch die schnellsten Wege zu den
verschiedenen Wettkampfstätten erklären lassen, die heute auf dem
Plan standen und der junge Gardist hatte ihn am Ende sogar davon
überzeugt, der Eröffnung fern zu bleiben. Der Weg von dort, zur
Arena der Ringkämpfe wäre nach Meinung des Jungen zu lang und
wahrscheinlich zu überfüllt gewesen. Kosch war sich sicher, dass
dieser tattrige Stadtschreiber ihm mit Absicht einen so frühen Kampf
zugeschanzt hatte. An eine faire Auslosung wollte er nicht so recht
glauben.
Wie auch immer. Er konnte
die Zeit auch anderweitig nutzen und so sehr hatte ihn das Geschwätz
eines Ratsobersten nun auch nicht interessiert. Kosch hatte sich
erinnert, dass er noch der Bitte eines Freundes nachkommen wollte,
der eine Verwandte in Weißenburg hatte. Für sie hatte Kosch einen
Brief mitgegeben bekommen. Er verstand zwar nicht, wie jemand vom
Felsenvolk dauerhaft an solch einem Fleck leben konnte, aber wem
gelang dies schon bei Frauen. So hatte er sich von Kelor also noch
ein weiteres Ziel für diesen Tag beschreiben lassen.
Als er am heutigen Morgen
vor den Türen des 'schweigsamen Gartens' stand, konnte er sich immer
noch nicht so richtig erklären, weswegen der Junge so gefeixt hatte,
als er erklärte, dass er dort, noch vor den Kämpfen etwas loswerden
wollte.
„Du wirst schon wissen,
wie du dich am besten auf einen Kampf einstimmst.“, hatte Kelor mit
einem Schmunzeln nur gesagt.
Kosch war also wieder früh
aufgebrochen, zum einen, um dem Gewühl zu entgehen und zum anderen,
da er diesmal seine fast vollständige Ausrüstung mit sich führte.
So klopfte er dann an. Es dauerte jedoch eine kleine Weile, bis sich
etwas tat.
Ein Klappe in der Tür
öffnete sich und ein rundes pausbäckiges Gesicht mit kleinen
Schweinsäuglein musterte ihn.
„Wir haben noch
geschlossen und öffnen heute auch erst nach der Ansprache.
Sperrstunde, mein Herr. Unsere Vögelchen sind auch alle noch am
schlafen oder bereits ausgeflogen. Bitte kommt also später wieder,
dann finden wir mit Sicherheit auch etwas angemessenes für Euch.“
Dabei sprach der Mann auf eine merkwürdig singenden Art und Weise.
Die Klappe war schon fast
wieder geschlossen, als Kosch schnell antwortete: „Halt, halt. Was
will ich denn mit Vögeln? Ich suche Gramil vom Clan der
Silberschmiede und habe einen Brief von ihrem Neffen für sie.“ Er
fragte sich, ob er wirklich richtig war. Vögel und Gärten. Das
passte so gar nicht zu jemandem seines Volkes.
„Gramil sagt Ihr? Nun,
wenn dem so ist, dann kann ich Euch wohl einlassen.“
Ein süffiges Morgenbier war
eine gute Entschädigung für den kleinen Schrecken, den er bekommen
hatte, als er endlich erkannte, um was für ein Etablissement es sich
beim schweigsamen Garten handelte. Nicht, dass es nicht auch
bei seinem Volk Bordelle gegeben hätte, aber die hatten dann
wenigstens eindeutigere Namen wie Lusthalle oder Freudenesse.
Zwerginnen, die diesem Gewerbe nachgingen, waren zwar nicht unbedingt
schlecht angesehen, aber man rühmte sich auch nicht dafür. Da ihn
sein Freund nicht extra vorgewarnt hatte, war sich Kosch recht sicher,
dass auch dieser keine Ahnung hatte, um was für ein Haus es sich
hier handelte und er wollte es ihm ungern sagen müssen.
„Nein, nein. Ich gehöre
nicht zu den käuflichen Mädchen. Ich bin so etwas, wie die
Hausmutter hier.“ Sie schenkte ihm gerade noch mal nach, als sie
sich in einem der privaten Räume des Anwesens unterhielten. Kosch
blies den Schaum vom Rand seines Krugs herunter und fragte:
„Hausmutter?“
„Naja, ich kümmere mich
um die Mädchen. Bin für sie da, wenn sie Probleme haben. Koche,
bessere ihre Kleidung aus und schau eben nach dem Rechten.“ Kosch
nickte verstehend. Wahrscheinlich konnte er doch mit seinem Freund
über ihren Arbeitsplatz sprechen.
„Aber jetzt sag, lieber
Kosch, was geht in Siegenheim so vor sich.“
Er wollte gerade ansetzen zu
erzählen, als ihn ein lautes Klingeln unterbrach. „Was'n das für
n' Krach?“
Gramils Stimme klang
erschrocken: „Das ist der Zimmeralarm eines der Mädchen.“